Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Abschnitt.
ßenwelt, ihrer Gegenstände, Wirkungsarten und Ver-
wandtschaften, sondern zugleich auch eine eigne Uebung
körperlicher Geschicklichkeit, um für die willkürlichen
oder gegebnen Zwecke den materiellen Stoff zu verknü-
pfen oder der Naturkraft die erforderliche Richtung zu
geben. Eben so, wer productiv Ideen darstellen,
in der Kunst der Rede aussprechen, oder in materiel-
lem Stoff ausdrücken will, bedarf nicht nur eine von
der speculativen Fertigkeit ganz verschiedne Ansicht der
Innenwelt, sondern zugleich auch eine eigne Kunst,
die Mittel der Darstellung gehörig zu behandeln; wor-
inn selbst wieder eine so große Verschiedenheit eintritt,
je nachdem die Ideen in dem zauberischen Stoff der
Sprache oder des Tons, oder in der Masse todter
Materie ausgedrückt werden sollen.

Demnach würde man den Widerspruch kaum be-
greifen: dem Erziehungsunterricht von der einen Seite
directe Vorbereitung der Lehrlinge zu den verschiedenen
Berufsarten zur Pflicht zu machen, und doch von
der andern Seite ihn auf eine bloße Gradverschie-
denheit zu berechnen; wenn man nicht den Aufschluß
davon in der überspannten Ansicht fände, die als ein
herrschender Irrthum unsrer ganzen modernen Cultur
schon oben zur Sprache gebracht worden, in der An-
sicht nämlich: daß alle Menschenindividuen zu
gleichförmigen Exemplaren des Menschenideals ge-
bildet werden sollen; woraus man die Forderung ab-
leitet: daß der Erziehungsunterricht das Gleichgewicht,
welches durch die Berufsbestimmung gestört werde,

Vierter Abſchnitt.
ßenwelt, ihrer Gegenſtaͤnde, Wirkungsarten und Ver-
wandtſchaften, ſondern zugleich auch eine eigne Uebung
koͤrperlicher Geſchicklichkeit, um fuͤr die willkuͤrlichen
oder gegebnen Zwecke den materiellen Stoff zu verknuͤ-
pfen oder der Naturkraft die erforderliche Richtung zu
geben. Eben ſo, wer productiv Ideen darſtellen,
in der Kunſt der Rede ausſprechen, oder in materiel-
lem Stoff ausdruͤcken will, bedarf nicht nur eine von
der ſpeculativen Fertigkeit ganz verſchiedne Anſicht der
Innenwelt, ſondern zugleich auch eine eigne Kunſt,
die Mittel der Darſtellung gehoͤrig zu behandeln; wor-
inn ſelbſt wieder eine ſo große Verſchiedenheit eintritt,
je nachdem die Ideen in dem zauberiſchen Stoff der
Sprache oder des Tons, oder in der Maſſe todter
Materie ausgedruͤckt werden ſollen.

Demnach wuͤrde man den Widerſpruch kaum be-
greifen: dem Erziehungsunterricht von der einen Seite
directe Vorbereitung der Lehrlinge zu den verſchiedenen
Berufsarten zur Pflicht zu machen, und doch von
der andern Seite ihn auf eine bloße Gradverſchie-
denheit zu berechnen; wenn man nicht den Aufſchluß
davon in der uͤberſpannten Anſicht faͤnde, die als ein
herrſchender Irrthum unſrer ganzen modernen Cultur
ſchon oben zur Sprache gebracht worden, in der An-
ſicht naͤmlich: daß alle Menſchenindividuen zu
gleichfoͤrmigen Exemplaren des Menſchenideals ge-
bildet werden ſollen; woraus man die Forderung ab-
leitet: daß der Erziehungsunterricht das Gleichgewicht,
welches durch die Berufsbeſtimmung geſtoͤrt werde,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0330" n="318"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
ßenwelt, ihrer Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, Wirkungsarten und Ver-<lb/>
wandt&#x017F;chaften, &#x017F;ondern zugleich auch eine eigne Uebung<lb/>
ko&#x0364;rperlicher Ge&#x017F;chicklichkeit, um fu&#x0364;r die willku&#x0364;rlichen<lb/>
oder gegebnen Zwecke den materiellen Stoff zu verknu&#x0364;-<lb/>
pfen oder der Naturkraft die erforderliche Richtung zu<lb/>
geben. Eben &#x017F;o, wer <hi rendition="#g">productiv</hi> Ideen dar&#x017F;tellen,<lb/>
in der Kun&#x017F;t der Rede aus&#x017F;prechen, oder in materiel-<lb/>
lem Stoff ausdru&#x0364;cken will, bedarf nicht nur eine von<lb/>
der &#x017F;peculativen Fertigkeit ganz ver&#x017F;chiedne An&#x017F;icht der<lb/>
Innenwelt, &#x017F;ondern zugleich auch eine eigne Kun&#x017F;t,<lb/>
die Mittel der Dar&#x017F;tellung geho&#x0364;rig zu behandeln; wor-<lb/>
inn &#x017F;elb&#x017F;t wieder eine &#x017F;o große Ver&#x017F;chiedenheit eintritt,<lb/>
je nachdem die Ideen in dem zauberi&#x017F;chen Stoff der<lb/>
Sprache oder des Tons, oder in der Ma&#x017F;&#x017F;e todter<lb/>
Materie ausgedru&#x0364;ckt werden &#x017F;ollen.</p><lb/>
            <p>Demnach wu&#x0364;rde man den Wider&#x017F;pruch kaum be-<lb/>
greifen: dem Erziehungsunterricht von der einen Seite<lb/>
directe Vorbereitung der Lehrlinge zu den ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Berufs<hi rendition="#g">arten</hi> zur Pflicht zu machen, und doch von<lb/>
der andern Seite ihn auf eine bloße <hi rendition="#g">Grad</hi>ver&#x017F;chie-<lb/>
denheit zu berechnen; wenn man nicht den Auf&#x017F;chluß<lb/>
davon in der u&#x0364;ber&#x017F;pannten An&#x017F;icht fa&#x0364;nde, die als ein<lb/>
herr&#x017F;chender Irrthum un&#x017F;rer ganzen modernen Cultur<lb/>
&#x017F;chon oben zur Sprache gebracht worden, in der An-<lb/>
&#x017F;icht na&#x0364;mlich: daß alle <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenindividuen</hi> zu<lb/>
gleichfo&#x0364;rmigen Exemplaren des <hi rendition="#g">Men&#x017F;chenideals</hi> ge-<lb/>
bildet werden &#x017F;ollen; woraus man die Forderung ab-<lb/>
leitet: daß der Erziehungsunterricht das Gleichgewicht,<lb/>
welches durch die Berufsbe&#x017F;timmung ge&#x017F;to&#x0364;rt werde,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0330] Vierter Abſchnitt. ßenwelt, ihrer Gegenſtaͤnde, Wirkungsarten und Ver- wandtſchaften, ſondern zugleich auch eine eigne Uebung koͤrperlicher Geſchicklichkeit, um fuͤr die willkuͤrlichen oder gegebnen Zwecke den materiellen Stoff zu verknuͤ- pfen oder der Naturkraft die erforderliche Richtung zu geben. Eben ſo, wer productiv Ideen darſtellen, in der Kunſt der Rede ausſprechen, oder in materiel- lem Stoff ausdruͤcken will, bedarf nicht nur eine von der ſpeculativen Fertigkeit ganz verſchiedne Anſicht der Innenwelt, ſondern zugleich auch eine eigne Kunſt, die Mittel der Darſtellung gehoͤrig zu behandeln; wor- inn ſelbſt wieder eine ſo große Verſchiedenheit eintritt, je nachdem die Ideen in dem zauberiſchen Stoff der Sprache oder des Tons, oder in der Maſſe todter Materie ausgedruͤckt werden ſollen. Demnach wuͤrde man den Widerſpruch kaum be- greifen: dem Erziehungsunterricht von der einen Seite directe Vorbereitung der Lehrlinge zu den verſchiedenen Berufsarten zur Pflicht zu machen, und doch von der andern Seite ihn auf eine bloße Gradverſchie- denheit zu berechnen; wenn man nicht den Aufſchluß davon in der uͤberſpannten Anſicht faͤnde, die als ein herrſchender Irrthum unſrer ganzen modernen Cultur ſchon oben zur Sprache gebracht worden, in der An- ſicht naͤmlich: daß alle Menſchenindividuen zu gleichfoͤrmigen Exemplaren des Menſchenideals ge- bildet werden ſollen; woraus man die Forderung ab- leitet: daß der Erziehungsunterricht das Gleichgewicht, welches durch die Berufsbeſtimmung geſtoͤrt werde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/330
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/330>, abgerufen am 23.11.2024.