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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
nämlichen Classe ihre Stelle angewiesen worden, als
das Leben des Geistes gelten kann, u. s. f. dem muß
schon deshalb jene Classification als willkürlich und ein-
seitig, und in jedem Fall als untauglich erscheinen, dar-
auf eine Theorie der Behandlung des Geistes zu grün-
den. -- Eben so findet man sich in Absicht auf den
zweiten Punkt verlassen, wenn man fragt: welches
denn der natürliche Gang der Entwickelung der Geistes-
kräfte sey? ob sie alle zugleich, oder einige früher, an-
dre später sich entwickeln? und welches die früher, wel-
ches die später erscheinenden seyen? Man hört in Ab-
sicht auf diesen zweiten Punkt sogar die metaphysische
Behauptung einmischen: daß, da das Kind Vernunft
sey, in demselben auch alle Seelenvermögen zugleich
vorhanden seyn müssen, und sich eben so wenig ein
Punkt seines Daseyns denken lasse, in welchem ihm ein
Seelenvermögen fehle oder ein Seelenvermögen neu in
ihm entstehe, als sich denken lasse, daß seinem Leib ein
neues Glied anwachse. Und daraus folgert man: daß
also auch der Erziehungsunterricht auf gleichzeitige Ue-
bung aller Seelenkräfte Rücksicht zu nehmen habe.

Wollten wir auf dergleichen speculative Sätze und
Eintheilungen die Entscheidung unsrer Frage stützen,
und es dabei uns bequem machen, die Unterlage, die
wir aus der Metaphysik und Psychologie borgen, ohne
weiters als zuverlässig vorauszusetzen, so könnten wir
ohne Zweifel leicht fertig werden, und wären auch durch
die pädagogische Observanz und Verjährung allenfalls
hinreichend gedeckt. Wollten wir aber so gründlich

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
naͤmlichen Claſſe ihre Stelle angewieſen worden, als
das Leben des Geiſtes gelten kann, u. ſ. f. dem muß
ſchon deshalb jene Claſſification als willkuͤrlich und ein-
ſeitig, und in jedem Fall als untauglich erſcheinen, dar-
auf eine Theorie der Behandlung des Geiſtes zu gruͤn-
den. — Eben ſo findet man ſich in Abſicht auf den
zweiten Punkt verlaſſen, wenn man fragt: welches
denn der natuͤrliche Gang der Entwickelung der Geiſtes-
kraͤfte ſey? ob ſie alle zugleich, oder einige fruͤher, an-
dre ſpaͤter ſich entwickeln? und welches die fruͤher, wel-
ches die ſpaͤter erſcheinenden ſeyen? Man hoͤrt in Ab-
ſicht auf dieſen zweiten Punkt ſogar die metaphyſiſche
Behauptung einmiſchen: daß, da das Kind Vernunft
ſey, in demſelben auch alle Seelenvermoͤgen zugleich
vorhanden ſeyn muͤſſen, und ſich eben ſo wenig ein
Punkt ſeines Daſeyns denken laſſe, in welchem ihm ein
Seelenvermoͤgen fehle oder ein Seelenvermoͤgen neu in
ihm entſtehe, als ſich denken laſſe, daß ſeinem Leib ein
neues Glied anwachſe. Und daraus folgert man: daß
alſo auch der Erziehungsunterricht auf gleichzeitige Ue-
bung aller Seelenkraͤfte Ruͤckſicht zu nehmen habe.

Wollten wir auf dergleichen ſpeculative Saͤtze und
Eintheilungen die Entſcheidung unſrer Frage ſtuͤtzen,
und es dabei uns bequem machen, die Unterlage, die
wir aus der Metaphyſik und Pſychologie borgen, ohne
weiters als zuverlaͤſſig vorauszuſetzen, ſo koͤnnten wir
ohne Zweifel leicht fertig werden, und waͤren auch durch
die paͤdagogiſche Obſervanz und Verjaͤhrung allenfalls
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[283/0295] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. naͤmlichen Claſſe ihre Stelle angewieſen worden, als das Leben des Geiſtes gelten kann, u. ſ. f. dem muß ſchon deshalb jene Claſſification als willkuͤrlich und ein- ſeitig, und in jedem Fall als untauglich erſcheinen, dar- auf eine Theorie der Behandlung des Geiſtes zu gruͤn- den. — Eben ſo findet man ſich in Abſicht auf den zweiten Punkt verlaſſen, wenn man fragt: welches denn der natuͤrliche Gang der Entwickelung der Geiſtes- kraͤfte ſey? ob ſie alle zugleich, oder einige fruͤher, an- dre ſpaͤter ſich entwickeln? und welches die fruͤher, wel- ches die ſpaͤter erſcheinenden ſeyen? Man hoͤrt in Ab- ſicht auf dieſen zweiten Punkt ſogar die metaphyſiſche Behauptung einmiſchen: daß, da das Kind Vernunft ſey, in demſelben auch alle Seelenvermoͤgen zugleich vorhanden ſeyn muͤſſen, und ſich eben ſo wenig ein Punkt ſeines Daſeyns denken laſſe, in welchem ihm ein Seelenvermoͤgen fehle oder ein Seelenvermoͤgen neu in ihm entſtehe, als ſich denken laſſe, daß ſeinem Leib ein neues Glied anwachſe. Und daraus folgert man: daß alſo auch der Erziehungsunterricht auf gleichzeitige Ue- bung aller Seelenkraͤfte Ruͤckſicht zu nehmen habe. Wollten wir auf dergleichen ſpeculative Saͤtze und Eintheilungen die Entſcheidung unſrer Frage ſtuͤtzen, und es dabei uns bequem machen, die Unterlage, die wir aus der Metaphyſik und Pſychologie borgen, ohne weiters als zuverlaͤſſig vorauszuſetzen, ſo koͤnnten wir ohne Zweifel leicht fertig werden, und waͤren auch durch die paͤdagogiſche Obſervanz und Verjaͤhrung allenfalls hinreichend gedeckt. Wollten wir aber ſo gruͤndlich

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/295>, abgerufen am 22.11.2024.