die Benennung materieller Gegenstände be- zeichnet werden.
Ein wesentliches Mißverständniß aber in Absicht auf die geistigen Gegenstände, welches den Streit des Philanthropinismus gegen den Humanismus am meisten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri- gen Ansicht und bedarf noch einer besondern Auflösung. Die geistigen Gegenstände überhaupt, die höch- sten Ideen selbst wie ihr leisester Abdruck in Gefühlen und Ahnungen des Höchsten, Ewigen, welche nicht in den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er- scheinen können, gestalten sich in dem Schema der Sprache, und erscheinen, indem sie -- wie ein glück- lich gefundner, obschon durch unverständige Nachbeterei fast widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet -- sich aussprechen. So ist das Wort die natür- liche Erscheinungsform der Ideen und reingeistigen Gegenstände.
Aber eben daraus, daß diese Form der geistigen Gegenstände öfters theils nicht tief genug erwogen, theils nicht genau genug von der Sache unterschieden wird, entstehen die sonderbarsten Mißgriffe. Erstens, indem eine Idee, ein Gefühl etc. in einem einzelnen Wort ausgesprochen ist, und folglich mit dem Wort, wenn es verstanden werden soll, die Idee, das Gefühl etc. vollständig verbunden werden muß, bleibt das Wort für Alle, denen die damit bezeichnete Idee etc. fremd ist, ein leerer Schall, mit welchem sie gleichwohl
Dritter Abſchnitt.
die Benennung materieller Gegenſtaͤnde be- zeichnet werden.
Ein weſentliches Mißverſtaͤndniß aber in Abſicht auf die geiſtigen Gegenſtaͤnde, welches den Streit des Philanthropiniſmus gegen den Humaniſmus am meiſten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri- gen Anſicht und bedarf noch einer beſondern Aufloͤſung. Die geiſtigen Gegenſtaͤnde uͤberhaupt, die hoͤch- ſten Ideen ſelbſt wie ihr leiſeſter Abdruck in Gefuͤhlen und Ahnungen des Hoͤchſten, Ewigen, welche nicht in den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er- ſcheinen koͤnnen, geſtalten ſich in dem Schema der Sprache, und erſcheinen, indem ſie — wie ein gluͤck- lich gefundner, obſchon durch unverſtaͤndige Nachbeterei faſt widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet — ſich ausſprechen. So iſt das Wort die natuͤr- liche Erſcheinungsform der Ideen und reingeiſtigen Gegenſtaͤnde.
Aber eben daraus, daß dieſe Form der geiſtigen Gegenſtaͤnde oͤfters theils nicht tief genug erwogen, theils nicht genau genug von der Sache unterſchieden wird, entſtehen die ſonderbarſten Mißgriffe. Erſtens, indem eine Idee, ein Gefuͤhl ꝛc. in einem einzelnen Wort ausgeſprochen iſt, und folglich mit dem Wort, wenn es verſtanden werden ſoll, die Idee, das Gefuͤhl ꝛc. vollſtaͤndig verbunden werden muß, bleibt das Wort fuͤr Alle, denen die damit bezeichnete Idee ꝛc. fremd iſt, ein leerer Schall, mit welchem ſie gleichwohl
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0184"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/>
die Benennung <hirendition="#g">materieller Gegenſtaͤnde</hi> be-<lb/>
zeichnet werden.</p><lb/><p>Ein weſentliches Mißverſtaͤndniß aber in Abſicht<lb/>
auf die <hirendition="#g">geiſtigen Gegenſtaͤnde</hi>, welches den Streit<lb/>
des Philanthropiniſmus gegen den Humaniſmus am<lb/>
meiſten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri-<lb/>
gen Anſicht und bedarf noch einer beſondern Aufloͤſung.<lb/>
Die <hirendition="#g">geiſtigen Gegenſtaͤnde</hi> uͤberhaupt, die hoͤch-<lb/>ſten Ideen ſelbſt wie ihr leiſeſter Abdruck in Gefuͤhlen<lb/>
und Ahnungen des Hoͤchſten, Ewigen, welche nicht in<lb/>
den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er-<lb/>ſcheinen koͤnnen, geſtalten ſich in dem Schema der<lb/><hirendition="#g">Sprache</hi>, und erſcheinen, indem ſie — wie ein gluͤck-<lb/>
lich gefundner, obſchon durch unverſtaͤndige Nachbeterei<lb/>
faſt widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet —<lb/><hirendition="#g">ſich ausſprechen</hi>. So iſt das <hirendition="#g">Wort</hi> die natuͤr-<lb/>
liche Erſcheinungsform der Ideen und reingeiſtigen<lb/>
Gegenſtaͤnde.</p><lb/><p>Aber eben daraus, daß dieſe <hirendition="#g">Form</hi> der geiſtigen<lb/>
Gegenſtaͤnde oͤfters theils nicht tief genug erwogen, theils<lb/>
nicht genau genug von der <hirendition="#g">Sache</hi> unterſchieden wird,<lb/>
entſtehen die ſonderbarſten Mißgriffe. Erſtens, indem<lb/>
eine <hirendition="#g">Idee</hi>, ein <hirendition="#g">Gefuͤhl</hi>ꝛc. in einem einzelnen <hirendition="#g">Wort</hi><lb/>
ausgeſprochen iſt, und folglich mit dem <hirendition="#g">Wort</hi>, wenn<lb/>
es verſtanden werden ſoll, die <hirendition="#g">Idee</hi>, das Gefuͤhl ꝛc.<lb/>
vollſtaͤndig verbunden werden muß, bleibt das <hirendition="#g">Wort</hi><lb/>
fuͤr Alle, denen die damit bezeichnete <hirendition="#g">Idee</hi>ꝛc. fremd<lb/>
iſt, ein <hirendition="#g">leerer Schall</hi>, mit welchem ſie gleichwohl<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[172/0184]
Dritter Abſchnitt.
die Benennung materieller Gegenſtaͤnde be-
zeichnet werden.
Ein weſentliches Mißverſtaͤndniß aber in Abſicht
auf die geiſtigen Gegenſtaͤnde, welches den Streit
des Philanthropiniſmus gegen den Humaniſmus am
meiſten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri-
gen Anſicht und bedarf noch einer beſondern Aufloͤſung.
Die geiſtigen Gegenſtaͤnde uͤberhaupt, die hoͤch-
ſten Ideen ſelbſt wie ihr leiſeſter Abdruck in Gefuͤhlen
und Ahnungen des Hoͤchſten, Ewigen, welche nicht in
den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er-
ſcheinen koͤnnen, geſtalten ſich in dem Schema der
Sprache, und erſcheinen, indem ſie — wie ein gluͤck-
lich gefundner, obſchon durch unverſtaͤndige Nachbeterei
faſt widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet —
ſich ausſprechen. So iſt das Wort die natuͤr-
liche Erſcheinungsform der Ideen und reingeiſtigen
Gegenſtaͤnde.
Aber eben daraus, daß dieſe Form der geiſtigen
Gegenſtaͤnde oͤfters theils nicht tief genug erwogen, theils
nicht genau genug von der Sache unterſchieden wird,
entſtehen die ſonderbarſten Mißgriffe. Erſtens, indem
eine Idee, ein Gefuͤhl ꝛc. in einem einzelnen Wort
ausgeſprochen iſt, und folglich mit dem Wort, wenn
es verſtanden werden ſoll, die Idee, das Gefuͤhl ꝛc.
vollſtaͤndig verbunden werden muß, bleibt das Wort
fuͤr Alle, denen die damit bezeichnete Idee ꝛc. fremd
iſt, ein leerer Schall, mit welchem ſie gleichwohl
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/184>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.