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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
Art von Bildung uns alle eigensinnig beschränken?
Darinn eben fehlen wir mit unserm Alles Lernen
wollen: wir nehmen irrig das Product der mannich-
faltigsten Geistesthätigkeit für die Aufgabe aller indivi-
duellen Thätigkeit, das, was aus dem einzelnen Thun
Aller hervorgeht, für das, was jeder Einzelne thun
solle. Die Bildung können wir dem Blüthenduft
in einem Blumengarten vergleichen, dem erquickenden
Hauche, der dem stillen kräftigen Leben der man-
nichfaltigsten einzelnen Blumen entströmt, jeder einzel-
nen als erhöhtes Labsal zurückkehrt. Woher soll
uns die Bildung kommen, wenn wir alle ein-
zeln das stille eigenthümliche Leben fliehen, das indi-
viduelle Seyn und Wirken unsrer nicht würdig, und
eine Vertheilung und Auflösung unsrer Kraft ins unbe-
stimmte Allgemeine für unsre wahre höhere Bestimmung
halten? Aber, wollten wir auch diese Ansicht nicht
gelten lassen, daß die wahre allgemeine Bildung
nur das Product der individuellen, des stillen Wir-
kens und der ruhigen Entwickelung der Eigenthümlich-
keit der Einzelnen sey; wollten wir auch glauben, daß
sich eine allgemeine Bildung als eine stehende Masse
denken lasse, von der sich jeder nach Gefallen seinen
vollen Antheil bis zur Uebersättigung selbst zutheilen
könne; glaubten wir auch, Schmetterlingen gleich, die
von einer Blume zur andern fliegend eine ganze Flora
sich zueignen, die Früchte der Bestrebungen Anderer
im leichten Fluge erhaschen zu können: so ist wohl zu
bedenken, daß Bildung nicht wie Blumenstaub
sich einathmen läßt, sondern das innre Leben selbst ist,

Dritter Abſchnitt.
Art von Bildung uns alle eigenſinnig beſchraͤnken?
Darinn eben fehlen wir mit unſerm Alles Lernen
wollen: wir nehmen irrig das Product der mannich-
faltigſten Geiſtesthaͤtigkeit fuͤr die Aufgabe aller indivi-
duellen Thaͤtigkeit, das, was aus dem einzelnen Thun
Aller hervorgeht, fuͤr das, was jeder Einzelne thun
ſolle. Die Bildung koͤnnen wir dem Bluͤthenduft
in einem Blumengarten vergleichen, dem erquickenden
Hauche, der dem ſtillen kraͤftigen Leben der man-
nichfaltigſten einzelnen Blumen entſtroͤmt, jeder einzel-
nen als erhoͤhtes Labſal zuruͤckkehrt. Woher ſoll
uns die Bildung kommen, wenn wir alle ein-
zeln das ſtille eigenthuͤmliche Leben fliehen, das indi-
viduelle Seyn und Wirken unſrer nicht wuͤrdig, und
eine Vertheilung und Aufloͤſung unſrer Kraft ins unbe-
ſtimmte Allgemeine fuͤr unſre wahre hoͤhere Beſtimmung
halten? Aber, wollten wir auch dieſe Anſicht nicht
gelten laſſen, daß die wahre allgemeine Bildung
nur das Product der individuellen, des ſtillen Wir-
kens und der ruhigen Entwickelung der Eigenthuͤmlich-
keit der Einzelnen ſey; wollten wir auch glauben, daß
ſich eine allgemeine Bildung als eine ſtehende Maſſe
denken laſſe, von der ſich jeder nach Gefallen ſeinen
vollen Antheil bis zur Ueberſaͤttigung ſelbſt zutheilen
koͤnne; glaubten wir auch, Schmetterlingen gleich, die
von einer Blume zur andern fliegend eine ganze Flora
ſich zueignen, die Fruͤchte der Beſtrebungen Anderer
im leichten Fluge erhaſchen zu koͤnnen: ſo iſt wohl zu
bedenken, daß Bildung nicht wie Blumenſtaub
ſich einathmen laͤßt, ſondern das innre Leben ſelbſt iſt,

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[154/0166] Dritter Abſchnitt. Art von Bildung uns alle eigenſinnig beſchraͤnken? Darinn eben fehlen wir mit unſerm Alles Lernen wollen: wir nehmen irrig das Product der mannich- faltigſten Geiſtesthaͤtigkeit fuͤr die Aufgabe aller indivi- duellen Thaͤtigkeit, das, was aus dem einzelnen Thun Aller hervorgeht, fuͤr das, was jeder Einzelne thun ſolle. Die Bildung koͤnnen wir dem Bluͤthenduft in einem Blumengarten vergleichen, dem erquickenden Hauche, der dem ſtillen kraͤftigen Leben der man- nichfaltigſten einzelnen Blumen entſtroͤmt, jeder einzel- nen als erhoͤhtes Labſal zuruͤckkehrt. Woher ſoll uns die Bildung kommen, wenn wir alle ein- zeln das ſtille eigenthuͤmliche Leben fliehen, das indi- viduelle Seyn und Wirken unſrer nicht wuͤrdig, und eine Vertheilung und Aufloͤſung unſrer Kraft ins unbe- ſtimmte Allgemeine fuͤr unſre wahre hoͤhere Beſtimmung halten? Aber, wollten wir auch dieſe Anſicht nicht gelten laſſen, daß die wahre allgemeine Bildung nur das Product der individuellen, des ſtillen Wir- kens und der ruhigen Entwickelung der Eigenthuͤmlich- keit der Einzelnen ſey; wollten wir auch glauben, daß ſich eine allgemeine Bildung als eine ſtehende Maſſe denken laſſe, von der ſich jeder nach Gefallen ſeinen vollen Antheil bis zur Ueberſaͤttigung ſelbſt zutheilen koͤnne; glaubten wir auch, Schmetterlingen gleich, die von einer Blume zur andern fliegend eine ganze Flora ſich zueignen, die Fruͤchte der Beſtrebungen Anderer im leichten Fluge erhaſchen zu koͤnnen: ſo iſt wohl zu bedenken, daß Bildung nicht wie Blumenſtaub ſich einathmen laͤßt, ſondern das innre Leben ſelbſt iſt,

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/166>, abgerufen am 24.11.2024.