Timotheus -- er mag diesen Namen hier führen, da er die Leser bloß in dem Cha- rakter interessirt, den der Name ausdrückt, als "Verehrer Gottes" -- Timotheus war kein Freund von überhäuften Andachtsübungen. Er fürchtete, daß sie, in so guter Absicht man sie auch oft anordnete, und mit so gutem Herzen man sie sich gefallen ließe, doch oft die gerade entgegenstehende Würkung von dem hervor- brächten, was man sich dabey vorsetze; daß sie das Gemüth mehr erkälteten als für die Re- ligion erwärmten; mehr einschläferten als er- weckten, und würden sie gar Zwang, gegen das einnähmen, wofür sie gewinnen sollten. Bey allen, die seiner Unterweisung oder seiner Erziehung anvertraut waren, machte er sichs zum Gesetz, bey keinen Handlungen so sehr auf Willigkeit zu sehen, und ihren Werth nur nach dem Maaß dieser Willigkeit zu schätzen, als bey Religionshandlungen. "Sie können" sagte er oft, "ohne diese, weder dem angenehm seyn, den wir dadurch verehren wollen, noch auch die mindeste Spur von innerer Besserung in dem
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An die Leſer.
Timotheus — er mag dieſen Namen hier führen, da er die Leſer bloß in dem Cha- rakter intereſſirt, den der Name ausdrückt, als „Verehrer Gottes“ — Timotheus war kein Freund von überhäuften Andachtsübungen. Er fürchtete, daß ſie, in ſo guter Abſicht man ſie auch oft anordnete, und mit ſo gutem Herzen man ſie ſich gefallen ließe, doch oft die gerade entgegenſtehende Würkung von dem hervor- brächten, was man ſich dabey vorſetze; daß ſie das Gemüth mehr erkälteten als für die Re- ligion erwärmten; mehr einſchläferten als er- weckten, und würden ſie gar Zwang, gegen das einnähmen, wofür ſie gewinnen ſollten. Bey allen, die ſeiner Unterweiſung oder ſeiner Erziehung anvertraut waren, machte er ſichs zum Geſetz, bey keinen Handlungen ſo ſehr auf Willigkeit zu ſehen, und ihren Werth nur nach dem Maaß dieſer Willigkeit zu ſchätzen, als bey Religionshandlungen. „Sie können“ ſagte er oft, „ohne dieſe, weder dem angenehm ſeyn, den wir dadurch verehren wollen, noch auch die mindeſte Spur von innerer Beſſerung in dem
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An die Leſer.
Timotheus — er mag dieſen Namen hier
führen, da er die Leſer bloß in dem Cha-
rakter intereſſirt, den der Name ausdrückt, als
„Verehrer Gottes“ — Timotheus war
kein Freund von überhäuften Andachtsübungen.
Er fürchtete, daß ſie, in ſo guter Abſicht man
ſie auch oft anordnete, und mit ſo gutem Herzen
man ſie ſich gefallen ließe, doch oft die gerade
entgegenſtehende Würkung von dem hervor-
brächten, was man ſich dabey vorſetze; daß ſie
das Gemüth mehr erkälteten als für die Re-
ligion erwärmten; mehr einſchläferten als er-
weckten, und würden ſie gar Zwang, gegen
das einnähmen, wofür ſie gewinnen ſollten.
Bey allen, die ſeiner Unterweiſung oder ſeiner
Erziehung anvertraut waren, machte er ſichs
zum Geſetz, bey keinen Handlungen ſo ſehr auf
Willigkeit zu ſehen, und ihren Werth nur nach
dem Maaß dieſer Willigkeit zu ſchätzen, als bey
Religionshandlungen. „Sie können“ ſagte er
oft, „ohne dieſe, weder dem angenehm ſeyn,
den wir dadurch verehren wollen, noch auch die
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/7>, abgerufen am 18.06.2024.
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