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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Lücke seiner Erkenntniß ausgefüllt; dort einem andern
eine noch schwankende Ueberzeugung vergewissert;
hier einem etwas beruhigendes gesagt; dort einem
andern eine Warnung ans Herz gelegt, die gerade
noch zu rechter Zeit kömmt; hier fließen Thränen der
Reue oder der Freude, und dort werden Thränen
des Schmerzes getrocknet. Was in dieser Predigt
mir völlig gleichgültig oder kalt vorkömmt, das rührt
vielleicht meinen nächsten Nachbar am meisten; was
mir gefällt, hat er nicht verstanden. Der Ausdruck,
der mir in diesem Liede zu niedrig und klein schien,
war vielleicht gerade noch der letzte Punkt, bis zu
dem sich mancher, der hier um mich ist, erheben
kann. Drüber würde er nichts mehr gesehn, ge-
fühlt, verstanden haben! Es ist eine Lebenskraft, die
sich den tausendfachen Arten der Pflanzen mittheilt, und
in jeder etwas anders ist, und sie für ein andres
Geschöpf zur Nahrung bestimmt. So ist auch die
Lehre des Evangelii nur eine; aber sie wird auf
tausendfache Art Nahrung des Geistes. --

Jch will noch einige Regeln geben, deren Er-
füllung uns hoffentlich den Besuch des öffentlichen
Gottesdienstes nützlicher machen wird.

Geh nicht darauf aus, immer etwas Neues und
Ungewöhnliches zu hören. Du würdest zu viel von

deinem

Lücke ſeiner Erkenntniß ausgefüllt; dort einem andern
eine noch ſchwankende Ueberzeugung vergewiſſert;
hier einem etwas beruhigendes geſagt; dort einem
andern eine Warnung ans Herz gelegt, die gerade
noch zu rechter Zeit kömmt; hier fließen Thränen der
Reue oder der Freude, und dort werden Thränen
des Schmerzes getrocknet. Was in dieſer Predigt
mir völlig gleichgültig oder kalt vorkömmt, das rührt
vielleicht meinen nächſten Nachbar am meiſten; was
mir gefällt, hat er nicht verſtanden. Der Ausdruck,
der mir in dieſem Liede zu niedrig und klein ſchien,
war vielleicht gerade noch der letzte Punkt, bis zu
dem ſich mancher, der hier um mich iſt, erheben
kann. Drüber würde er nichts mehr geſehn, ge-
fühlt, verſtanden haben! Es iſt eine Lebenskraft, die
ſich den tauſendfachen Arten der Pflanzen mittheilt, und
in jeder etwas anders iſt, und ſie für ein andres
Geſchöpf zur Nahrung beſtimmt. So iſt auch die
Lehre des Evangelii nur eine; aber ſie wird auf
tauſendfache Art Nahrung des Geiſtes. —

Jch will noch einige Regeln geben, deren Er-
füllung uns hoffentlich den Beſuch des öffentlichen
Gottesdienſtes nützlicher machen wird.

Geh nicht darauf aus, immer etwas Neues und
Ungewöhnliches zu hören. Du würdeſt zu viel von

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[24[36]/0040] Lücke ſeiner Erkenntniß ausgefüllt; dort einem andern eine noch ſchwankende Ueberzeugung vergewiſſert; hier einem etwas beruhigendes geſagt; dort einem andern eine Warnung ans Herz gelegt, die gerade noch zu rechter Zeit kömmt; hier fließen Thränen der Reue oder der Freude, und dort werden Thränen des Schmerzes getrocknet. Was in dieſer Predigt mir völlig gleichgültig oder kalt vorkömmt, das rührt vielleicht meinen nächſten Nachbar am meiſten; was mir gefällt, hat er nicht verſtanden. Der Ausdruck, der mir in dieſem Liede zu niedrig und klein ſchien, war vielleicht gerade noch der letzte Punkt, bis zu dem ſich mancher, der hier um mich iſt, erheben kann. Drüber würde er nichts mehr geſehn, ge- fühlt, verſtanden haben! Es iſt eine Lebenskraft, die ſich den tauſendfachen Arten der Pflanzen mittheilt, und in jeder etwas anders iſt, und ſie für ein andres Geſchöpf zur Nahrung beſtimmt. So iſt auch die Lehre des Evangelii nur eine; aber ſie wird auf tauſendfache Art Nahrung des Geiſtes. — Jch will noch einige Regeln geben, deren Er- füllung uns hoffentlich den Beſuch des öffentlichen Gottesdienſtes nützlicher machen wird. Geh nicht darauf aus, immer etwas Neues und Ungewöhnliches zu hören. Du würdeſt zu viel von deinem

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 24[36]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/40>, abgerufen am 27.11.2024.