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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Zwar sollt es wohl viel anders seyn! Wir soll-
ten kaum solcher sinnlichen Erinnerungsmittel nö-
thig haben, um ernsthaft zu werden; ein Tag soll-
te wie der andre dem geheiligt seyn, dem jeder Au-
genblick gehört! Das sagt uns die Vernunft schon:
das bestätigt uns das göttliche Wort, das lehrt
uns das Beyspiel der vollkommnern Christen, die
wir neben uns erblicken. Alles, was sie thun --
Worte und Werke -- sie thun es alles zu ihres
Gottes Ehre. Die immer würksame und rege
Kraft, die herrschende Liebe für Ordnung, Wahr-
heit, Tugend, oder, welches eins ist, für das, was
Gott will, theilt sich jeder Handlung mit. Sie re-
den, sie denken, sie handeln fromm, ohne sichs im-
mer bewußt zu seyn, daß sie es thun; denn es ist
andre Natur. Und so wenig ihre Miene, oder
Geberde, oder Rede bloß den Schein eines frommen
Wesens vor ihnen her tragen soll, so ist sie doch der
ungekünstelte und wahrste Ausdruck der innern
Frömmigkeit, die die Seele ihres Thuns und Den-
kens ist.

Aber wir wollen kein Hülfsmittel gering schä-
tzen, das uns zu dieser trefflichen Vollkommenheit
führen könnte. Wäre es auch nur da, um unsrer
Schwäche willen -- sind wir denn nicht schwach?

Sollte

Zwar ſollt es wohl viel anders ſeyn! Wir ſoll-
ten kaum ſolcher ſinnlichen Erinnerungsmittel nö-
thig haben, um ernſthaft zu werden; ein Tag ſoll-
te wie der andre dem geheiligt ſeyn, dem jeder Au-
genblick gehört! Das ſagt uns die Vernunft ſchon:
das beſtätigt uns das göttliche Wort, das lehrt
uns das Beyſpiel der vollkommnern Chriſten, die
wir neben uns erblicken. Alles, was ſie thun —
Worte und Werke — ſie thun es alles zu ihres
Gottes Ehre. Die immer würkſame und rege
Kraft, die herrſchende Liebe für Ordnung, Wahr-
heit, Tugend, oder, welches eins iſt, für das, was
Gott will, theilt ſich jeder Handlung mit. Sie re-
den, ſie denken, ſie handeln fromm, ohne ſichs im-
mer bewußt zu ſeyn, daß ſie es thun; denn es iſt
andre Natur. Und ſo wenig ihre Miene, oder
Geberde, oder Rede bloß den Schein eines frommen
Weſens vor ihnen her tragen ſoll, ſo iſt ſie doch der
ungekünſtelte und wahrſte Ausdruck der innern
Frömmigkeit, die die Seele ihres Thuns und Den-
kens iſt.

Aber wir wollen kein Hülfsmittel gering ſchä-
tzen, das uns zu dieſer trefflichen Vollkommenheit
führen könnte. Wäre es auch nur da, um unſrer
Schwäche willen — ſind wir denn nicht ſchwach?

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[4[16]/0020] Zwar ſollt es wohl viel anders ſeyn! Wir ſoll- ten kaum ſolcher ſinnlichen Erinnerungsmittel nö- thig haben, um ernſthaft zu werden; ein Tag ſoll- te wie der andre dem geheiligt ſeyn, dem jeder Au- genblick gehört! Das ſagt uns die Vernunft ſchon: das beſtätigt uns das göttliche Wort, das lehrt uns das Beyſpiel der vollkommnern Chriſten, die wir neben uns erblicken. Alles, was ſie thun — Worte und Werke — ſie thun es alles zu ihres Gottes Ehre. Die immer würkſame und rege Kraft, die herrſchende Liebe für Ordnung, Wahr- heit, Tugend, oder, welches eins iſt, für das, was Gott will, theilt ſich jeder Handlung mit. Sie re- den, ſie denken, ſie handeln fromm, ohne ſichs im- mer bewußt zu ſeyn, daß ſie es thun; denn es iſt andre Natur. Und ſo wenig ihre Miene, oder Geberde, oder Rede bloß den Schein eines frommen Weſens vor ihnen her tragen ſoll, ſo iſt ſie doch der ungekünſtelte und wahrſte Ausdruck der innern Frömmigkeit, die die Seele ihres Thuns und Den- kens iſt. Aber wir wollen kein Hülfsmittel gering ſchä- tzen, das uns zu dieſer trefflichen Vollkommenheit führen könnte. Wäre es auch nur da, um unſrer Schwäche willen — ſind wir denn nicht ſchwach? Sollte

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 4[16]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/20>, abgerufen am 27.11.2024.