gen, in Opfern und Söhnungen des beleidigten höchsten Wesens überein? Muß nicht der Gedanke höchst natürlich eben darum seyn, weil er so allge- mein ist, daß Gott Ursache habe, über den Men- schen, der ihm nicht gehorcht, zu zürnen, und daß jede Schuld Ersatz nöthig habe, wenn sie getilgt werden solle? Und bey diesem allgemeinen Glauben, bey der daraus entstehenden Unruhe, was für ein Ersatz dieß seyn könne, -- sollte die Lehre, die auf einmal den Menschen daraus reißt, ohne ihn zu täuschen oder leichtsinnig zu machen, überflüßig seyn? Die Lehre, die auch dieser Würkung so wenig ver- fehlt, dem ganzen sinnlichen Opferdienst ein Ende ge- macht, und den Geist der Liebe und des Gottver- trauens so sichtbar ausgebreitet hat!
Es mag seyn -- laßt es uns wieder zuge- ben! -- es mag seyn, daß der menschliche Ver- stand auch ohne Führer dahin komme, zu begreifen, daß Gott um sein selbst willen wohl keine einzige, Strafe über die, so Böses thun, verhänge, und daß er wenigstens nicht nothwendig sich rächen müsse; -- bey wie vielen Menschen ist er denn da- hin gekommen? Wie viele würden denn, ohne das Christenthum und die Lehre von der durch Christum uns so außer allen Zweifel gesetzten Versöhnlichkeit
und
gen, in Opfern und Söhnungen des beleidigten höchſten Weſens überein? Muß nicht der Gedanke höchſt natürlich eben darum ſeyn, weil er ſo allge- mein iſt, daß Gott Urſache habe, über den Men- ſchen, der ihm nicht gehorcht, zu zürnen, und daß jede Schuld Erſatz nöthig habe, wenn ſie getilgt werden ſolle? Und bey dieſem allgemeinen Glauben, bey der daraus entſtehenden Unruhe, was für ein Erſatz dieß ſeyn könne, — ſollte die Lehre, die auf einmal den Menſchen daraus reißt, ohne ihn zu täuſchen oder leichtſinnig zu machen, überflüßig ſeyn? Die Lehre, die auch dieſer Würkung ſo wenig ver- fehlt, dem ganzen ſinnlichen Opferdienſt ein Ende ge- macht, und den Geiſt der Liebe und des Gottver- trauens ſo ſichtbar ausgebreitet hat!
Es mag ſeyn — laßt es uns wieder zuge- ben! — es mag ſeyn, daß der menſchliche Ver- ſtand auch ohne Führer dahin komme, zu begreifen, daß Gott um ſein ſelbſt willen wohl keine einzige, Strafe über die, ſo Böſes thun, verhänge, und daß er wenigſtens nicht nothwendig ſich rächen müſſe; — bey wie vielen Menſchen iſt er denn da- hin gekommen? Wie viele würden denn, ohne das Chriſtenthum und die Lehre von der durch Chriſtum uns ſo außer allen Zweifel geſetzten Verſöhnlichkeit
und
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[141[153]/0157]
gen, in Opfern und Söhnungen des beleidigten
höchſten Weſens überein? Muß nicht der Gedanke
höchſt natürlich eben darum ſeyn, weil er ſo allge-
mein iſt, daß Gott Urſache habe, über den Men-
ſchen, der ihm nicht gehorcht, zu zürnen, und
daß jede Schuld Erſatz nöthig habe, wenn ſie getilgt
werden ſolle? Und bey dieſem allgemeinen Glauben,
bey der daraus entſtehenden Unruhe, was für ein
Erſatz dieß ſeyn könne, — ſollte die Lehre, die auf
einmal den Menſchen daraus reißt, ohne ihn zu
täuſchen oder leichtſinnig zu machen, überflüßig ſeyn?
Die Lehre, die auch dieſer Würkung ſo wenig ver-
fehlt, dem ganzen ſinnlichen Opferdienſt ein Ende ge-
macht, und den Geiſt der Liebe und des Gottver-
trauens ſo ſichtbar ausgebreitet hat!
Es mag ſeyn — laßt es uns wieder zuge-
ben! — es mag ſeyn, daß der menſchliche Ver-
ſtand auch ohne Führer dahin komme, zu begreifen,
daß Gott um ſein ſelbſt willen wohl keine einzige,
Strafe über die, ſo Böſes thun, verhänge, und
daß er wenigſtens nicht nothwendig ſich rächen
müſſe; — bey wie vielen Menſchen iſt er denn da-
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 141[153]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/157>, abgerufen am 26.06.2024.
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