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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Bestimmung abgesteckt ist, und weil sie nur Mittel
zu größeren Zwecken seyn sollen. Ein großer Theil
andrer Werke des unendlichen Schöpfers liegen erst
im Keim, und entwickeln sich nach und nach, wie
die Blume nnd der Baum, wie die ganze thierische
Schöpfung. Aber auch diese hängen in Absicht ihrer
Fortbildung allein von äußern Dingen und Umständen
ab, die sich vereinigen müssen, um sie weiter zu brin-
gen, oder in denen allein die Schuld ihres Zurückblei-
bens liegt. Denn was kann der Sprößling eines Baums
davor, daß er nicht Regen oder Luft oder Wärme ge-
nug hat, um zu gedeihen? Was können die hülflosen
Jungen der Thiere davor, wenn es ihnen an Nahrung
fehlt, oder wenn ihre Kräfte mit Gewalt gehemmt
und gelähmt werden? -- Aber nicht ganz so bey den
edelsten aller Werke Gottes, in dem Reiche der Gei-
ster. Auch hier ist Einfluß der Umstände, aber er ist
nicht unwiderstehlich; auch hier hängt Fortbildung
und Vollkommnerwerden von den Gelegenheiten ab,
aber nicht allein. Schon das Kind strebt durch eig-
ne Thätigkeit vorwärts; schon der Knabe bringt Lehr-
begier zum Unterricht mit, und wird in dem Maaß
zurück bleiben oder weiter kommen, in dem er sich be-
eifert seine Kräfte selbst zu brauchen oder sie liegen
zu lassen.

So

Beſtimmung abgeſteckt iſt, und weil ſie nur Mittel
zu größeren Zwecken ſeyn ſollen. Ein großer Theil
andrer Werke des unendlichen Schöpfers liegen erſt
im Keim, und entwickeln ſich nach und nach, wie
die Blume nnd der Baum, wie die ganze thieriſche
Schöpfung. Aber auch dieſe hängen in Abſicht ihrer
Fortbildung allein von äußern Dingen und Umſtänden
ab, die ſich vereinigen müſſen, um ſie weiter zu brin-
gen, oder in denen allein die Schuld ihres Zurückblei-
bens liegt. Denn was kann der Sprößling eines Baums
davor, daß er nicht Regen oder Luft oder Wärme ge-
nug hat, um zu gedeihen? Was können die hülfloſen
Jungen der Thiere davor, wenn es ihnen an Nahrung
fehlt, oder wenn ihre Kräfte mit Gewalt gehemmt
und gelähmt werden? — Aber nicht ganz ſo bey den
edelſten aller Werke Gottes, in dem Reiche der Gei-
ſter. Auch hier iſt Einfluß der Umſtände, aber er iſt
nicht unwiderſtehlich; auch hier hängt Fortbildung
und Vollkommnerwerden von den Gelegenheiten ab,
aber nicht allein. Schon das Kind ſtrebt durch eig-
ne Thätigkeit vorwärts; ſchon der Knabe bringt Lehr-
begier zum Unterricht mit, und wird in dem Maaß
zurück bleiben oder weiter kommen, in dem er ſich be-
eifert ſeine Kräfte ſelbſt zu brauchen oder ſie liegen
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[100[112]/0116] Beſtimmung abgeſteckt iſt, und weil ſie nur Mittel zu größeren Zwecken ſeyn ſollen. Ein großer Theil andrer Werke des unendlichen Schöpfers liegen erſt im Keim, und entwickeln ſich nach und nach, wie die Blume nnd der Baum, wie die ganze thieriſche Schöpfung. Aber auch dieſe hängen in Abſicht ihrer Fortbildung allein von äußern Dingen und Umſtänden ab, die ſich vereinigen müſſen, um ſie weiter zu brin- gen, oder in denen allein die Schuld ihres Zurückblei- bens liegt. Denn was kann der Sprößling eines Baums davor, daß er nicht Regen oder Luft oder Wärme ge- nug hat, um zu gedeihen? Was können die hülfloſen Jungen der Thiere davor, wenn es ihnen an Nahrung fehlt, oder wenn ihre Kräfte mit Gewalt gehemmt und gelähmt werden? — Aber nicht ganz ſo bey den edelſten aller Werke Gottes, in dem Reiche der Gei- ſter. Auch hier iſt Einfluß der Umſtände, aber er iſt nicht unwiderſtehlich; auch hier hängt Fortbildung und Vollkommnerwerden von den Gelegenheiten ab, aber nicht allein. Schon das Kind ſtrebt durch eig- ne Thätigkeit vorwärts; ſchon der Knabe bringt Lehr- begier zum Unterricht mit, und wird in dem Maaß zurück bleiben oder weiter kommen, in dem er ſich be- eifert ſeine Kräfte ſelbſt zu brauchen oder ſie liegen zu laſſen. So

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 100[112]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/116>, abgerufen am 22.11.2024.