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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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sollen. Wohl uns, wenn gute Eltern und weise
Erzieher die Stelle dieser Führerin vertreten ha-
ben, bis sie selbst sich uns anbieten konnte; und
wehe allen, die in diesen Jahren aus Verwahr-
losung, oder durch die Umstände, um das un-
schätzbare Gut einer frühen Bildung gebracht wur-
den! Aber doch vermag auch diese uns nicht um-
zuschaffen. Wir bleiben Menschen; die Feinde un-
srer Ruhe, die wir in unserm Körper herumtragen,
schlägt nicht ein, schlagen zehn Sieger nicht nie-
der. Sie können in diesem Leben geschwächt, ein-
geschränkt, aber schwerlich ganz überwunden wer-
den. Und gesetzt auch, daß ein Theil von ihnen
so weit besiegt würde, uns nicht mehr durch Be-
trug und täuschende List dahin zu bringen, uns in
unser Verderben zu stürzen, so bleibt doch ein an-
drer Theil noch übrig, der uns immer im Wege
steht, wenn wir weiter auf dem Wege zur Voll-
kommenheit kommen, und größere Fortschritte im
Guten thun wollen.

Wie oft reißt uns unser Temperament hin, und
wir sind wohl gar geneigt, Fehler, die wir aus der
Quelle herleiten können, für keine Fehler zu halten!
"Wir sind nun einmal so" -- die gewöhnliche und
so wenig sagende Entschuldigung bey Handlungen,

die

ſollen. Wohl uns, wenn gute Eltern und weiſe
Erzieher die Stelle dieſer Führerin vertreten ha-
ben, bis ſie ſelbſt ſich uns anbieten konnte; und
wehe allen, die in dieſen Jahren aus Verwahr-
loſung, oder durch die Umſtände, um das un-
ſchätzbare Gut einer frühen Bildung gebracht wur-
den! Aber doch vermag auch dieſe uns nicht um-
zuſchaffen. Wir bleiben Menſchen; die Feinde un-
ſrer Ruhe, die wir in unſerm Körper herumtragen,
ſchlägt nicht ein, ſchlagen zehn Sieger nicht nie-
der. Sie können in dieſem Leben geſchwächt, ein-
geſchränkt, aber ſchwerlich ganz überwunden wer-
den. Und geſetzt auch, daß ein Theil von ihnen
ſo weit beſiegt würde, uns nicht mehr durch Be-
trug und täuſchende Liſt dahin zu bringen, uns in
unſer Verderben zu ſtürzen, ſo bleibt doch ein an-
drer Theil noch übrig, der uns immer im Wege
ſteht, wenn wir weiter auf dem Wege zur Voll-
kommenheit kommen, und größere Fortſchritte im
Guten thun wollen.

Wie oft reißt uns unſer Temperament hin, und
wir ſind wohl gar geneigt, Fehler, die wir aus der
Quelle herleiten können, für keine Fehler zu halten!
„Wir ſind nun einmal ſo“ — die gewöhnliche und
ſo wenig ſagende Entſchuldigung bey Handlungen,

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[84[96]/0100] ſollen. Wohl uns, wenn gute Eltern und weiſe Erzieher die Stelle dieſer Führerin vertreten ha- ben, bis ſie ſelbſt ſich uns anbieten konnte; und wehe allen, die in dieſen Jahren aus Verwahr- loſung, oder durch die Umſtände, um das un- ſchätzbare Gut einer frühen Bildung gebracht wur- den! Aber doch vermag auch dieſe uns nicht um- zuſchaffen. Wir bleiben Menſchen; die Feinde un- ſrer Ruhe, die wir in unſerm Körper herumtragen, ſchlägt nicht ein, ſchlagen zehn Sieger nicht nie- der. Sie können in dieſem Leben geſchwächt, ein- geſchränkt, aber ſchwerlich ganz überwunden wer- den. Und geſetzt auch, daß ein Theil von ihnen ſo weit beſiegt würde, uns nicht mehr durch Be- trug und täuſchende Liſt dahin zu bringen, uns in unſer Verderben zu ſtürzen, ſo bleibt doch ein an- drer Theil noch übrig, der uns immer im Wege ſteht, wenn wir weiter auf dem Wege zur Voll- kommenheit kommen, und größere Fortſchritte im Guten thun wollen. Wie oft reißt uns unſer Temperament hin, und wir ſind wohl gar geneigt, Fehler, die wir aus der Quelle herleiten können, für keine Fehler zu halten! „Wir ſind nun einmal ſo“ — die gewöhnliche und ſo wenig ſagende Entſchuldigung bey Handlungen, die

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 84[96]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/100>, abgerufen am 18.06.2024.