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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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streifen der jungen Patricier mit einer Schaar ihrer Clien-
ten nichts unerhörtes waren. Solche Frevel sind in Grie-
chenland häufig, oft die Veranlassung des Umsturzes der
Oligarchieen gewesen 55); und selbst in dem demokrati-
schen Athen verleitete seine hohe Geburt nicht weniger
als übermüthiges Kraftgefühl Alkibiades zu ähnlichen
Zügellosigkeiten.

Cäso ward (293) wegen Verletzung der beschwornen
Volksfreyheiten und Beleidigung des geheiligten Charak-
ters der Tribunen, auf den Tod angeklagt. Zu spät demü-
thigte sich der Schuldige, und vergebens suchten er und
seine Angehörige, der Plebejer Hände küssend und ihre
Kniee umfassend, diejenigen zu rühren, denen er mit je-
der höhnenden Mißhandlung, wie Unfreyen, begegnet
hatte. Nur des Vaters, L. Quinctius Cincinnatus, Tu-
genden konnten Cäso vor dem Volk zu Gut kommen, und
die Tribunen waren nicht gefühllos für sie: denn es war
kein geringes daß ihm vergönnt ward Sicherheit für seine
Erscheinung am Tage des Gerichts zu stellen, da sonst die
Strenge des Gesetzes die Verhaftung des wegen Mord An-
geklagten befahl oder rechtfertigte. Denn ehe der Ge-
richtstag kam, war jener neue Zeuge der Gewaltsamkeiten
des unbändigen Jünglings aufgetreten, ihn anklagend,
daß er an der Spitze eines ihm ergebnen Haufens einen
kranken Plebejer so gemißhandelt daß dieser von den
Schlägen und Wunden seinen Geist aufgegeben habe.
Mit Mühe entrissen die Tribunen den Angeklagten der

55) Aristoteles Polit. V. c. 10. Namentlich für di Pontali-
den zu Mitylene.

ſtreifen der jungen Patricier mit einer Schaar ihrer Clien-
ten nichts unerhoͤrtes waren. Solche Frevel ſind in Grie-
chenland haͤufig, oft die Veranlaſſung des Umſturzes der
Oligarchieen geweſen 55); und ſelbſt in dem demokrati-
ſchen Athen verleitete ſeine hohe Geburt nicht weniger
als uͤbermuͤthiges Kraftgefuͤhl Alkibiades zu aͤhnlichen
Zuͤgelloſigkeiten.

Caͤſo ward (293) wegen Verletzung der beſchwornen
Volksfreyheiten und Beleidigung des geheiligten Charak-
ters der Tribunen, auf den Tod angeklagt. Zu ſpaͤt demuͤ-
thigte ſich der Schuldige, und vergebens ſuchten er und
ſeine Angehoͤrige, der Plebejer Haͤnde kuͤſſend und ihre
Kniee umfaſſend, diejenigen zu ruͤhren, denen er mit je-
der hoͤhnenden Mißhandlung, wie Unfreyen, begegnet
hatte. Nur des Vaters, L. Quinctius Cincinnatus, Tu-
genden konnten Caͤſo vor dem Volk zu Gut kommen, und
die Tribunen waren nicht gefuͤhllos fuͤr ſie: denn es war
kein geringes daß ihm vergoͤnnt ward Sicherheit fuͤr ſeine
Erſcheinung am Tage des Gerichts zu ſtellen, da ſonſt die
Strenge des Geſetzes die Verhaftung des wegen Mord An-
geklagten befahl oder rechtfertigte. Denn ehe der Ge-
richtstag kam, war jener neue Zeuge der Gewaltſamkeiten
des unbaͤndigen Juͤnglings aufgetreten, ihn anklagend,
daß er an der Spitze eines ihm ergebnen Haufens einen
kranken Plebejer ſo gemißhandelt daß dieſer von den
Schlaͤgen und Wunden ſeinen Geiſt aufgegeben habe.
Mit Muͤhe entriſſen die Tribunen den Angeklagten der

55) Ariſtoteles Polit. V. c. 10. Namentlich fuͤr di Pontali-
den zu Mitylene.
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[53/0069] ſtreifen der jungen Patricier mit einer Schaar ihrer Clien- ten nichts unerhoͤrtes waren. Solche Frevel ſind in Grie- chenland haͤufig, oft die Veranlaſſung des Umſturzes der Oligarchieen geweſen 55); und ſelbſt in dem demokrati- ſchen Athen verleitete ſeine hohe Geburt nicht weniger als uͤbermuͤthiges Kraftgefuͤhl Alkibiades zu aͤhnlichen Zuͤgelloſigkeiten. Caͤſo ward (293) wegen Verletzung der beſchwornen Volksfreyheiten und Beleidigung des geheiligten Charak- ters der Tribunen, auf den Tod angeklagt. Zu ſpaͤt demuͤ- thigte ſich der Schuldige, und vergebens ſuchten er und ſeine Angehoͤrige, der Plebejer Haͤnde kuͤſſend und ihre Kniee umfaſſend, diejenigen zu ruͤhren, denen er mit je- der hoͤhnenden Mißhandlung, wie Unfreyen, begegnet hatte. Nur des Vaters, L. Quinctius Cincinnatus, Tu- genden konnten Caͤſo vor dem Volk zu Gut kommen, und die Tribunen waren nicht gefuͤhllos fuͤr ſie: denn es war kein geringes daß ihm vergoͤnnt ward Sicherheit fuͤr ſeine Erſcheinung am Tage des Gerichts zu ſtellen, da ſonſt die Strenge des Geſetzes die Verhaftung des wegen Mord An- geklagten befahl oder rechtfertigte. Denn ehe der Ge- richtstag kam, war jener neue Zeuge der Gewaltſamkeiten des unbaͤndigen Juͤnglings aufgetreten, ihn anklagend, daß er an der Spitze eines ihm ergebnen Haufens einen kranken Plebejer ſo gemißhandelt daß dieſer von den Schlaͤgen und Wunden ſeinen Geiſt aufgegeben habe. Mit Muͤhe entriſſen die Tribunen den Angeklagten der 55) Ariſtoteles Polit. V. c. 10. Namentlich fuͤr di Pontali- den zu Mitylene.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/69>, abgerufen am 27.11.2024.