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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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führen, die Städte und den Boden verpflichtete er sich
seinem Verbündeten einzuräumen 90). Kapua hatte ohne
Zweifel bedeutenden Verkehr mit Rom, das Gegentheil
ist in der That undenkbar, und schon der Nahme der Porta
Capena ist erweisend: es muß also auch einen Vertrag
gehabt, dieser aber bloß Eigenthumsverhältnisse betroffen
haben; schwerlich kann man Livius glauben daß der Rö-
mer samnitisches Bündniß über Kampanien schwieg.

Er verfälschte die Wahrheit, ich glaube in seiner
eigenen Ueberzeugung, wo die älteren Annalisten vielleicht
einen Schleyer gezogen hatten, aus dem liebenswürdigen
Wunsch die Römer alter Tage fleckenlos gerecht zu sehen:
und diese Verfälschung verbreitet sich über die ganze Er-
zählung auch des latinischen Kriegs welcher aus dem sam-
nitischen entstand. Denn er ändert die Wahrheit der bei-
den Angelpunkte dieser Ereignisse.

Nach Livius Darstellung war es Rom allein, La-
tiums rechtmäßiges souveraines Haupt, damals aber von
einer Empörung seiner Unterthanen bedroht, unter dessen
Botmäßigkeit sich die Kampaner begaben. Nun wäre es
aber doch das ungeheuerste Mißverhältniß der Kräfte ge-
wesen, wenn Rom ohne Latium es unternommen hätte
in diese weit entlegnen Gegenden, gegen eine Nation wie
die samnitische, Heere zu senden. Es ist vor allem nicht
denkbar daß diese verwegne Unternehmung gewagt wäre,
wenn nicht wenigstens das höchste Vertrauen auf die Treue

90) Das erhellt aus den alten Tractaten zwischen Rom und
Karthago, und in Hinsicht auf Samnium aus Livius VIII.
c. 1. Pacem -- bellique jus adversus Sidicinos petierunt
.

fuͤhren, die Staͤdte und den Boden verpflichtete er ſich
ſeinem Verbuͤndeten einzuraͤumen 90). Kapua hatte ohne
Zweifel bedeutenden Verkehr mit Rom, das Gegentheil
iſt in der That undenkbar, und ſchon der Nahme der Porta
Capena iſt erweiſend: es muß alſo auch einen Vertrag
gehabt, dieſer aber bloß Eigenthumsverhaͤltniſſe betroffen
haben; ſchwerlich kann man Livius glauben daß der Roͤ-
mer ſamnitiſches Buͤndniß uͤber Kampanien ſchwieg.

Er verfaͤlſchte die Wahrheit, ich glaube in ſeiner
eigenen Ueberzeugung, wo die aͤlteren Annaliſten vielleicht
einen Schleyer gezogen hatten, aus dem liebenswuͤrdigen
Wunſch die Roͤmer alter Tage fleckenlos gerecht zu ſehen:
und dieſe Verfaͤlſchung verbreitet ſich uͤber die ganze Er-
zaͤhlung auch des latiniſchen Kriegs welcher aus dem ſam-
nitiſchen entſtand. Denn er aͤndert die Wahrheit der bei-
den Angelpunkte dieſer Ereigniſſe.

Nach Livius Darſtellung war es Rom allein, La-
tiums rechtmaͤßiges ſouveraines Haupt, damals aber von
einer Empoͤrung ſeiner Unterthanen bedroht, unter deſſen
Botmaͤßigkeit ſich die Kampaner begaben. Nun waͤre es
aber doch das ungeheuerſte Mißverhaͤltniß der Kraͤfte ge-
weſen, wenn Rom ohne Latium es unternommen haͤtte
in dieſe weit entlegnen Gegenden, gegen eine Nation wie
die ſamnitiſche, Heere zu ſenden. Es iſt vor allem nicht
denkbar daß dieſe verwegne Unternehmung gewagt waͤre,
wenn nicht wenigſtens das hoͤchſte Vertrauen auf die Treue

90) Das erhellt aus den alten Tractaten zwiſchen Rom und
Karthago, und in Hinſicht auf Samnium aus Livius VIII.
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[491/0507] fuͤhren, die Staͤdte und den Boden verpflichtete er ſich ſeinem Verbuͤndeten einzuraͤumen 90). Kapua hatte ohne Zweifel bedeutenden Verkehr mit Rom, das Gegentheil iſt in der That undenkbar, und ſchon der Nahme der Porta Capena iſt erweiſend: es muß alſo auch einen Vertrag gehabt, dieſer aber bloß Eigenthumsverhaͤltniſſe betroffen haben; ſchwerlich kann man Livius glauben daß der Roͤ- mer ſamnitiſches Buͤndniß uͤber Kampanien ſchwieg. Er verfaͤlſchte die Wahrheit, ich glaube in ſeiner eigenen Ueberzeugung, wo die aͤlteren Annaliſten vielleicht einen Schleyer gezogen hatten, aus dem liebenswuͤrdigen Wunſch die Roͤmer alter Tage fleckenlos gerecht zu ſehen: und dieſe Verfaͤlſchung verbreitet ſich uͤber die ganze Er- zaͤhlung auch des latiniſchen Kriegs welcher aus dem ſam- nitiſchen entſtand. Denn er aͤndert die Wahrheit der bei- den Angelpunkte dieſer Ereigniſſe. Nach Livius Darſtellung war es Rom allein, La- tiums rechtmaͤßiges ſouveraines Haupt, damals aber von einer Empoͤrung ſeiner Unterthanen bedroht, unter deſſen Botmaͤßigkeit ſich die Kampaner begaben. Nun waͤre es aber doch das ungeheuerſte Mißverhaͤltniß der Kraͤfte ge- weſen, wenn Rom ohne Latium es unternommen haͤtte in dieſe weit entlegnen Gegenden, gegen eine Nation wie die ſamnitiſche, Heere zu ſenden. Es iſt vor allem nicht denkbar daß dieſe verwegne Unternehmung gewagt waͤre, wenn nicht wenigſtens das hoͤchſte Vertrauen auf die Treue 90) Das erhellt aus den alten Tractaten zwiſchen Rom und Karthago, und in Hinſicht auf Samnium aus Livius VIII. c. 1. Pacem — bellique jus adversus Sidicinos petierunt.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/507>, abgerufen am 22.11.2024.