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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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die Nacht verweilten die Sieger auf dem Schlachtfelde,
beschäftigt die Beute zu sammeln, und nach barbari-
scher Sitte die Köpfe der Erschlagenen als Siegeszei-
chen abzuschneiden. Am folgenden Tage erschienen sie
vor Rom. Undenkbar ist der Wahnsinn, wenn auch die
Mauern kaum besetzt waren, die Thore offen zu lassen,
und jene ängstliche Vorsichtigkeit eines Siegers, der stets
mit verwegner Kühnheit angriff, die den Ueberwundenen
zwey ganze Tage Frist geschenkt haben soll sich zu retten,
und den Reichthum seiner Beute zu schmälern. Geschlos-
sen waren die Thore allerdings nach der weit glaublicheren
Erzählung 47), daß die Gallier drey Tage nach der
Schlacht das collinische Thor aufhieben, weil die Mauern
öde waren, und mit großer Vorsicht in die Stadt einzo-
gen, wo ihnen nirgends Gegenwehr bevorstand. Undenk-
bar ist es ferner, und es wäre ärger als Raserey gewesen,
in einem Zeitalter, wo jeder den die letzte Stunde einer
eroberten Stadt in ihren Mauern traf dem Tod, oder
der Sklaverey, und den frevelvollsten Mißhandlungen
entgehen zu können nicht träumen durfte, wenn die wehr-
losen Einwohner, ungehindert die Stadt zu verlassen,
eine solche Frist nicht genutzt hätten um sich zu retten und
zu zerstreuen: wenn Weiber und Kinder großentheils in
der Stadt geblieben wären 48): nicht weniger aber daß
eine große Zahl die sich zugedrängt habe, in das Capitol
und die Burg aufgenommen worden sey: als ob die Ver-
zweiflung nicht alle hinzugedrängt haben müsse, wenn

nicht
47) Diodor XV. c. 115.
48) Livius V. c. 40. 43.

die Nacht verweilten die Sieger auf dem Schlachtfelde,
beſchaͤftigt die Beute zu ſammeln, und nach barbari-
ſcher Sitte die Koͤpfe der Erſchlagenen als Siegeszei-
chen abzuſchneiden. Am folgenden Tage erſchienen ſie
vor Rom. Undenkbar iſt der Wahnſinn, wenn auch die
Mauern kaum beſetzt waren, die Thore offen zu laſſen,
und jene aͤngſtliche Vorſichtigkeit eines Siegers, der ſtets
mit verwegner Kuͤhnheit angriff, die den Ueberwundenen
zwey ganze Tage Friſt geſchenkt haben ſoll ſich zu retten,
und den Reichthum ſeiner Beute zu ſchmaͤlern. Geſchloſ-
ſen waren die Thore allerdings nach der weit glaublicheren
Erzaͤhlung 47), daß die Gallier drey Tage nach der
Schlacht das colliniſche Thor aufhieben, weil die Mauern
oͤde waren, und mit großer Vorſicht in die Stadt einzo-
gen, wo ihnen nirgends Gegenwehr bevorſtand. Undenk-
bar iſt es ferner, und es waͤre aͤrger als Raſerey geweſen,
in einem Zeitalter, wo jeder den die letzte Stunde einer
eroberten Stadt in ihren Mauern traf dem Tod, oder
der Sklaverey, und den frevelvollſten Mißhandlungen
entgehen zu koͤnnen nicht traͤumen durfte, wenn die wehr-
loſen Einwohner, ungehindert die Stadt zu verlaſſen,
eine ſolche Friſt nicht genutzt haͤtten um ſich zu retten und
zu zerſtreuen: wenn Weiber und Kinder großentheils in
der Stadt geblieben waͤren 48): nicht weniger aber daß
eine große Zahl die ſich zugedraͤngt habe, in das Capitol
und die Burg aufgenommen worden ſey: als ob die Ver-
zweiflung nicht alle hinzugedraͤngt haben muͤſſe, wenn

nicht
47) Diodor XV. c. 115.
48) Livius V. c. 40. 43.
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[272/0288] die Nacht verweilten die Sieger auf dem Schlachtfelde, beſchaͤftigt die Beute zu ſammeln, und nach barbari- ſcher Sitte die Koͤpfe der Erſchlagenen als Siegeszei- chen abzuſchneiden. Am folgenden Tage erſchienen ſie vor Rom. Undenkbar iſt der Wahnſinn, wenn auch die Mauern kaum beſetzt waren, die Thore offen zu laſſen, und jene aͤngſtliche Vorſichtigkeit eines Siegers, der ſtets mit verwegner Kuͤhnheit angriff, die den Ueberwundenen zwey ganze Tage Friſt geſchenkt haben ſoll ſich zu retten, und den Reichthum ſeiner Beute zu ſchmaͤlern. Geſchloſ- ſen waren die Thore allerdings nach der weit glaublicheren Erzaͤhlung 47), daß die Gallier drey Tage nach der Schlacht das colliniſche Thor aufhieben, weil die Mauern oͤde waren, und mit großer Vorſicht in die Stadt einzo- gen, wo ihnen nirgends Gegenwehr bevorſtand. Undenk- bar iſt es ferner, und es waͤre aͤrger als Raſerey geweſen, in einem Zeitalter, wo jeder den die letzte Stunde einer eroberten Stadt in ihren Mauern traf dem Tod, oder der Sklaverey, und den frevelvollſten Mißhandlungen entgehen zu koͤnnen nicht traͤumen durfte, wenn die wehr- loſen Einwohner, ungehindert die Stadt zu verlaſſen, eine ſolche Friſt nicht genutzt haͤtten um ſich zu retten und zu zerſtreuen: wenn Weiber und Kinder großentheils in der Stadt geblieben waͤren 48): nicht weniger aber daß eine große Zahl die ſich zugedraͤngt habe, in das Capitol und die Burg aufgenommen worden ſey: als ob die Ver- zweiflung nicht alle hinzugedraͤngt haben muͤſſe, wenn nicht 47) Diodor XV. c. 115. 48) Livius V. c. 40. 43.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/288>, abgerufen am 24.11.2024.