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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Vorrang und einen freywillig anerkannten Einfluß über
die andern, welcher der Oberherrschaft nahe gekommen
zu seyn scheint, ausübte. Misbrauch dieses Vorrangs,
und die Unfähigkeit in einer Bundesverfassung Sicher-
heit dagegen zu finden, bewog einen Theil dieser Völ-
ker sich von dem herrschenden, in alten Tagen den Bi-
turigern, abzureissen, und dem mächtigsten unter ihnen
dieselbe Hoheit zu verleihen. So änderten sich mehr-
mals die herrschenden Staaten: das System blieb. Eben
so schützten sich die einzelnen Völker gegen innere Ty-
ranney nicht durch Verfassung und Gesetze, sondern
indem die Bürger sich gegen den Unterdrücker an einen
andern Mächtigen anschlossen. Die Druiden und Prie-
ster besaßen eigenthümliche Wissenschaften, Astronomie
und Naturkunde waren ihnen nicht fremd, und der große
Cäsar, dessen Kenntnisse nicht geringer waren als sein
Geist und Urtheil, spricht nicht verächtlich von ihrem
Wissen. Sie hatten auch Poesie, und gebrauchten sie
zum Gewand der Wissenschaft. Ihre Kenntnisse waren
einheimisch, älter als die Einführung der Buchstaben-
schrift, deren Gebrauch sie für diese verschmähten, ob-
gleich sie zum Bedürfniß des Lebens angewandt ward.
Sie lehrten Unsterblichkeit: aber ihre Religion war voll
Greuel, und das Werkzeug eines frevelhaften Priester-
despotismus. Nur der Adel hatte Ansehen: das Volk
lebte in der demüthigsten Clientel; einem Verhältniß wie
es sich in Irrland bis vor zweyhundert Jahren erhielt.
Die Zweykämpfe und die wilde Völlerey sind ein Eben-
bild des rohesten Mittelalters. Städte waren selten, die

Häuser

Vorrang und einen freywillig anerkannten Einfluß uͤber
die andern, welcher der Oberherrſchaft nahe gekommen
zu ſeyn ſcheint, ausuͤbte. Misbrauch dieſes Vorrangs,
und die Unfaͤhigkeit in einer Bundesverfaſſung Sicher-
heit dagegen zu finden, bewog einen Theil dieſer Voͤl-
ker ſich von dem herrſchenden, in alten Tagen den Bi-
turigern, abzureiſſen, und dem maͤchtigſten unter ihnen
dieſelbe Hoheit zu verleihen. So aͤnderten ſich mehr-
mals die herrſchenden Staaten: das Syſtem blieb. Eben
ſo ſchuͤtzten ſich die einzelnen Voͤlker gegen innere Ty-
ranney nicht durch Verfaſſung und Geſetze, ſondern
indem die Buͤrger ſich gegen den Unterdruͤcker an einen
andern Maͤchtigen anſchloſſen. Die Druiden und Prie-
ſter beſaßen eigenthuͤmliche Wiſſenſchaften, Aſtronomie
und Naturkunde waren ihnen nicht fremd, und der große
Caͤſar, deſſen Kenntniſſe nicht geringer waren als ſein
Geiſt und Urtheil, ſpricht nicht veraͤchtlich von ihrem
Wiſſen. Sie hatten auch Poeſie, und gebrauchten ſie
zum Gewand der Wiſſenſchaft. Ihre Kenntniſſe waren
einheimiſch, aͤlter als die Einfuͤhrung der Buchſtaben-
ſchrift, deren Gebrauch ſie fuͤr dieſe verſchmaͤhten, ob-
gleich ſie zum Beduͤrfniß des Lebens angewandt ward.
Sie lehrten Unſterblichkeit: aber ihre Religion war voll
Greuel, und das Werkzeug eines frevelhaften Prieſter-
despotismus. Nur der Adel hatte Anſehen: das Volk
lebte in der demuͤthigſten Clientel; einem Verhaͤltniß wie
es ſich in Irrland bis vor zweyhundert Jahren erhielt.
Die Zweykaͤmpfe und die wilde Voͤllerey ſind ein Eben-
bild des roheſten Mittelalters. Staͤdte waren ſelten, die

Haͤuſer
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[256/0272] Vorrang und einen freywillig anerkannten Einfluß uͤber die andern, welcher der Oberherrſchaft nahe gekommen zu ſeyn ſcheint, ausuͤbte. Misbrauch dieſes Vorrangs, und die Unfaͤhigkeit in einer Bundesverfaſſung Sicher- heit dagegen zu finden, bewog einen Theil dieſer Voͤl- ker ſich von dem herrſchenden, in alten Tagen den Bi- turigern, abzureiſſen, und dem maͤchtigſten unter ihnen dieſelbe Hoheit zu verleihen. So aͤnderten ſich mehr- mals die herrſchenden Staaten: das Syſtem blieb. Eben ſo ſchuͤtzten ſich die einzelnen Voͤlker gegen innere Ty- ranney nicht durch Verfaſſung und Geſetze, ſondern indem die Buͤrger ſich gegen den Unterdruͤcker an einen andern Maͤchtigen anſchloſſen. Die Druiden und Prie- ſter beſaßen eigenthuͤmliche Wiſſenſchaften, Aſtronomie und Naturkunde waren ihnen nicht fremd, und der große Caͤſar, deſſen Kenntniſſe nicht geringer waren als ſein Geiſt und Urtheil, ſpricht nicht veraͤchtlich von ihrem Wiſſen. Sie hatten auch Poeſie, und gebrauchten ſie zum Gewand der Wiſſenſchaft. Ihre Kenntniſſe waren einheimiſch, aͤlter als die Einfuͤhrung der Buchſtaben- ſchrift, deren Gebrauch ſie fuͤr dieſe verſchmaͤhten, ob- gleich ſie zum Beduͤrfniß des Lebens angewandt ward. Sie lehrten Unſterblichkeit: aber ihre Religion war voll Greuel, und das Werkzeug eines frevelhaften Prieſter- despotismus. Nur der Adel hatte Anſehen: das Volk lebte in der demuͤthigſten Clientel; einem Verhaͤltniß wie es ſich in Irrland bis vor zweyhundert Jahren erhielt. Die Zweykaͤmpfe und die wilde Voͤllerey ſind ein Eben- bild des roheſten Mittelalters. Staͤdte waren ſelten, die Haͤuſer

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/272>, abgerufen am 24.11.2024.