gesetze erklärt, an denen die Gesetzgeber nichts ändern dürften, aber sie waren unter dieser dictatorischen Ge- walt von jeder Gewährleistung entblößt. Daß die Gesetz- gebung beschlossen worden, war Sieg der Plebejer, also mußte ihnen auch bewilligt seyn was allein sie beruhigen konnte, daß sie gemeinschaftlich geschehe: und auf diese Bedingung mochten sie damals glauben, sie dürften dem Tribunat entsagen. So war es in der Macht des Con- suls welcher die Comitien hielt, auch ohne offenbare Ge- waltsamkeit die Wahl dahin zu wenden daß nur Patricier ernannt wurden. Die des folgenden Jahrs zeigt augen- scheinlich daß eine gleiche Repräsentation beyder Stände dem Decemvirat wesentlich war: wie im Volkstribunat ward jede der fünf Klassen durch einen Plebejer ver- treten.
Im Jahr 303, an den Iden des Mai, übernahmen die Decemvirn ihr Amt. Sie vereinigten sich daß jeder von ihnen während zehn Tagen vorsitzen, und Recht spre- chen, und während dieser Tage 12) die zwölf Lictoren ha- ben solle; die übrigen erschienen in derselben Zeit ohne den Glanz und die Schrecken der höchsten Würde. Die Er- fahrung dieses Jahrs gewährte eine täuschende Bestäti- gung des Spruchs daß alle Formen gleichgültig seyen, und ihren Werth nur von der Anwendung empfingen. Denn obgleich nur Patricier erwählt waren, vermißte, wie die Geschichte erzählt, das Volk den Schutz der Tri-
12) Ich folge in dieser Geschichtserzählung durchweg Livius. Zonaras (VII. c. 18.) läßt die Lictoren täglich wechseln: Dionysius redet unbestimmt von der Tage Zahl.
geſetze erklaͤrt, an denen die Geſetzgeber nichts aͤndern duͤrften, aber ſie waren unter dieſer dictatoriſchen Ge- walt von jeder Gewaͤhrleiſtung entbloͤßt. Daß die Geſetz- gebung beſchloſſen worden, war Sieg der Plebejer, alſo mußte ihnen auch bewilligt ſeyn was allein ſie beruhigen konnte, daß ſie gemeinſchaftlich geſchehe: und auf dieſe Bedingung mochten ſie damals glauben, ſie duͤrften dem Tribunat entſagen. So war es in der Macht des Con- ſuls welcher die Comitien hielt, auch ohne offenbare Ge- waltſamkeit die Wahl dahin zu wenden daß nur Patricier ernannt wurden. Die des folgenden Jahrs zeigt augen- ſcheinlich daß eine gleiche Repraͤſentation beyder Staͤnde dem Decemvirat weſentlich war: wie im Volkstribunat ward jede der fuͤnf Klaſſen durch einen Plebejer ver- treten.
Im Jahr 303, an den Iden des Mai, uͤbernahmen die Decemvirn ihr Amt. Sie vereinigten ſich daß jeder von ihnen waͤhrend zehn Tagen vorſitzen, und Recht ſpre- chen, und waͤhrend dieſer Tage 12) die zwoͤlf Lictoren ha- ben ſolle; die uͤbrigen erſchienen in derſelben Zeit ohne den Glanz und die Schrecken der hoͤchſten Wuͤrde. Die Er- fahrung dieſes Jahrs gewaͤhrte eine taͤuſchende Beſtaͤti- gung des Spruchs daß alle Formen gleichguͤltig ſeyen, und ihren Werth nur von der Anwendung empfingen. Denn obgleich nur Patricier erwaͤhlt waren, vermißte, wie die Geſchichte erzaͤhlt, das Volk den Schutz der Tri-
12) Ich folge in dieſer Geſchichtserzaͤhlung durchweg Livius. Zonaras (VII. c. 18.) laͤßt die Lictoren taͤglich wechſeln: Dionyſius redet unbeſtimmt von der Tage Zahl.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0124"n="108"/>
geſetze erklaͤrt, an denen die Geſetzgeber nichts aͤndern<lb/>
duͤrften, aber ſie waren unter dieſer dictatoriſchen Ge-<lb/>
walt von jeder Gewaͤhrleiſtung entbloͤßt. Daß die Geſetz-<lb/>
gebung beſchloſſen worden, war Sieg der Plebejer, alſo<lb/>
mußte ihnen auch bewilligt ſeyn was allein ſie beruhigen<lb/>
konnte, daß ſie gemeinſchaftlich geſchehe: und auf dieſe<lb/>
Bedingung mochten ſie damals glauben, ſie duͤrften dem<lb/>
Tribunat entſagen. So war es in der Macht des Con-<lb/>ſuls welcher die Comitien hielt, auch ohne offenbare Ge-<lb/>
waltſamkeit die Wahl dahin zu wenden daß nur Patricier<lb/>
ernannt wurden. Die des folgenden Jahrs zeigt augen-<lb/>ſcheinlich daß eine gleiche Repraͤſentation beyder Staͤnde<lb/>
dem Decemvirat weſentlich war: wie im Volkstribunat<lb/>
ward jede der fuͤnf Klaſſen durch einen Plebejer ver-<lb/>
treten.</p><lb/><p>Im Jahr 303, an den Iden des Mai, uͤbernahmen<lb/>
die Decemvirn ihr Amt. Sie vereinigten ſich daß jeder<lb/>
von ihnen waͤhrend zehn Tagen vorſitzen, und Recht ſpre-<lb/>
chen, und waͤhrend dieſer Tage <noteplace="foot"n="12)">Ich folge in dieſer Geſchichtserzaͤhlung durchweg Livius.<lb/>
Zonaras (<hirendition="#aq">VII. c.</hi> 18.) laͤßt die Lictoren taͤglich wechſeln:<lb/>
Dionyſius redet unbeſtimmt von der Tage Zahl.</note> die zwoͤlf Lictoren ha-<lb/>
ben ſolle; die uͤbrigen erſchienen in derſelben Zeit ohne den<lb/>
Glanz und die Schrecken der hoͤchſten Wuͤrde. Die Er-<lb/>
fahrung dieſes Jahrs gewaͤhrte eine taͤuſchende Beſtaͤti-<lb/>
gung des Spruchs daß alle Formen gleichguͤltig ſeyen,<lb/>
und ihren Werth nur von der Anwendung empfingen.<lb/>
Denn obgleich nur Patricier erwaͤhlt waren, vermißte,<lb/>
wie die Geſchichte erzaͤhlt, das Volk den Schutz der Tri-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[108/0124]
geſetze erklaͤrt, an denen die Geſetzgeber nichts aͤndern
duͤrften, aber ſie waren unter dieſer dictatoriſchen Ge-
walt von jeder Gewaͤhrleiſtung entbloͤßt. Daß die Geſetz-
gebung beſchloſſen worden, war Sieg der Plebejer, alſo
mußte ihnen auch bewilligt ſeyn was allein ſie beruhigen
konnte, daß ſie gemeinſchaftlich geſchehe: und auf dieſe
Bedingung mochten ſie damals glauben, ſie duͤrften dem
Tribunat entſagen. So war es in der Macht des Con-
ſuls welcher die Comitien hielt, auch ohne offenbare Ge-
waltſamkeit die Wahl dahin zu wenden daß nur Patricier
ernannt wurden. Die des folgenden Jahrs zeigt augen-
ſcheinlich daß eine gleiche Repraͤſentation beyder Staͤnde
dem Decemvirat weſentlich war: wie im Volkstribunat
ward jede der fuͤnf Klaſſen durch einen Plebejer ver-
treten.
Im Jahr 303, an den Iden des Mai, uͤbernahmen
die Decemvirn ihr Amt. Sie vereinigten ſich daß jeder
von ihnen waͤhrend zehn Tagen vorſitzen, und Recht ſpre-
chen, und waͤhrend dieſer Tage 12) die zwoͤlf Lictoren ha-
ben ſolle; die uͤbrigen erſchienen in derſelben Zeit ohne den
Glanz und die Schrecken der hoͤchſten Wuͤrde. Die Er-
fahrung dieſes Jahrs gewaͤhrte eine taͤuſchende Beſtaͤti-
gung des Spruchs daß alle Formen gleichguͤltig ſeyen,
und ihren Werth nur von der Anwendung empfingen.
Denn obgleich nur Patricier erwaͤhlt waren, vermißte,
wie die Geſchichte erzaͤhlt, das Volk den Schutz der Tri-
12) Ich folge in dieſer Geſchichtserzaͤhlung durchweg Livius.
Zonaras (VII. c. 18.) laͤßt die Lictoren taͤglich wechſeln:
Dionyſius redet unbeſtimmt von der Tage Zahl.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/124>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.