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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Senats anständig zu vernehmen: und als sein Weib Ra-
cilia dieses Gewand aus der Hütte gebracht, und er sich
eingehüllt hatte, begrüßten sie ihn als Dictator, und
führten ihn zur Stadt. Am andern Ufer der Tiber em-
pfingen ihn Söhne und Vettern, und der größte Theil der
Patricier. Aber bey dem Volk ward die aufgehende Hoff-
nung getrübt durch das Andenken an die Drohungen sei-
nes Consulats, und an seinen ungerochnen väterlichen
Kummer. Der Dictator wählte den Obersten der Ritter
nicht aus den glänzenden und reichen Häusern, sondern
einen Mann aus einem sonst gänzlich unbekannten patrici-
schen Geschlecht, L. Tarquitius, der so arm wie er selbst
war. Dann ließ er alle Buden schließen, alle Geschäfte
ruhen, und die Bürger sämmtlich zu den Waffen schwö-
ren; so daß alle Waffenfähige bey Sonnenuntergang sich
mit Speise auf fünf Tage versehen, und jeder mit zwölf
Schanzhölzern, marschfertig auf dem Marsfelde einfin-
den sollten, von da er sie sogleich zum Entsatz führen wolle.
Dieses Gebot der höchsten Anstrengung erregte in jedem
Muth und Siegsvertrauen: die Zurückbleibenden halfen
den Ausziehenden alles bereiten: das Heer war zur vor-
geschriebnen Stunde versammelt, und eigne Lust verdop-
pelte ihren Schritt. Um Mitternacht erreichten sie die
Nähe des Feindes; der ganze Zug umgab sein Lager, ihr
Kriegsgeschrey verkündigte den Eingeschlossenen die An-
kunft und die Menge ihrer Befreyer, und forderte sie zu
einem Ausfall auf. Indem dieser die Aequer von dem
Heer des Dictators abzog, gewann es die Nacht um so
lange der Consul L. Minucius nicht zu sehr gedrängt

würde,

Senats anſtaͤndig zu vernehmen: und als ſein Weib Ra-
cilia dieſes Gewand aus der Huͤtte gebracht, und er ſich
eingehuͤllt hatte, begruͤßten ſie ihn als Dictator, und
fuͤhrten ihn zur Stadt. Am andern Ufer der Tiber em-
pfingen ihn Soͤhne und Vettern, und der groͤßte Theil der
Patricier. Aber bey dem Volk ward die aufgehende Hoff-
nung getruͤbt durch das Andenken an die Drohungen ſei-
nes Conſulats, und an ſeinen ungerochnen vaͤterlichen
Kummer. Der Dictator waͤhlte den Oberſten der Ritter
nicht aus den glaͤnzenden und reichen Haͤuſern, ſondern
einen Mann aus einem ſonſt gaͤnzlich unbekannten patrici-
ſchen Geſchlecht, L. Tarquitius, der ſo arm wie er ſelbſt
war. Dann ließ er alle Buden ſchließen, alle Geſchaͤfte
ruhen, und die Buͤrger ſaͤmmtlich zu den Waffen ſchwoͤ-
ren; ſo daß alle Waffenfaͤhige bey Sonnenuntergang ſich
mit Speiſe auf fuͤnf Tage verſehen, und jeder mit zwoͤlf
Schanzhoͤlzern, marſchfertig auf dem Marsfelde einfin-
den ſollten, von da er ſie ſogleich zum Entſatz fuͤhren wolle.
Dieſes Gebot der hoͤchſten Anſtrengung erregte in jedem
Muth und Siegsvertrauen: die Zuruͤckbleibenden halfen
den Ausziehenden alles bereiten: das Heer war zur vor-
geſchriebnen Stunde verſammelt, und eigne Luſt verdop-
pelte ihren Schritt. Um Mitternacht erreichten ſie die
Naͤhe des Feindes; der ganze Zug umgab ſein Lager, ihr
Kriegsgeſchrey verkuͤndigte den Eingeſchloſſenen die An-
kunft und die Menge ihrer Befreyer, und forderte ſie zu
einem Ausfall auf. Indem dieſer die Aequer von dem
Heer des Dictators abzog, gewann es die Nacht um ſo
lange der Conſul L. Minucius nicht zu ſehr gedraͤngt

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[96/0112] Senats anſtaͤndig zu vernehmen: und als ſein Weib Ra- cilia dieſes Gewand aus der Huͤtte gebracht, und er ſich eingehuͤllt hatte, begruͤßten ſie ihn als Dictator, und fuͤhrten ihn zur Stadt. Am andern Ufer der Tiber em- pfingen ihn Soͤhne und Vettern, und der groͤßte Theil der Patricier. Aber bey dem Volk ward die aufgehende Hoff- nung getruͤbt durch das Andenken an die Drohungen ſei- nes Conſulats, und an ſeinen ungerochnen vaͤterlichen Kummer. Der Dictator waͤhlte den Oberſten der Ritter nicht aus den glaͤnzenden und reichen Haͤuſern, ſondern einen Mann aus einem ſonſt gaͤnzlich unbekannten patrici- ſchen Geſchlecht, L. Tarquitius, der ſo arm wie er ſelbſt war. Dann ließ er alle Buden ſchließen, alle Geſchaͤfte ruhen, und die Buͤrger ſaͤmmtlich zu den Waffen ſchwoͤ- ren; ſo daß alle Waffenfaͤhige bey Sonnenuntergang ſich mit Speiſe auf fuͤnf Tage verſehen, und jeder mit zwoͤlf Schanzhoͤlzern, marſchfertig auf dem Marsfelde einfin- den ſollten, von da er ſie ſogleich zum Entſatz fuͤhren wolle. Dieſes Gebot der hoͤchſten Anſtrengung erregte in jedem Muth und Siegsvertrauen: die Zuruͤckbleibenden halfen den Ausziehenden alles bereiten: das Heer war zur vor- geſchriebnen Stunde verſammelt, und eigne Luſt verdop- pelte ihren Schritt. Um Mitternacht erreichten ſie die Naͤhe des Feindes; der ganze Zug umgab ſein Lager, ihr Kriegsgeſchrey verkuͤndigte den Eingeſchloſſenen die An- kunft und die Menge ihrer Befreyer, und forderte ſie zu einem Ausfall auf. Indem dieſer die Aequer von dem Heer des Dictators abzog, gewann es die Nacht um ſo lange der Conſul L. Minucius nicht zu ſehr gedraͤngt wuͤrde,

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/112>, abgerufen am 25.11.2024.