Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Daher ist es auch sehr wahrscheinlich daß zuerst die
Klassen, jede den sie vertretenden Tribun, oder die sämmt-
lichen Centurien alle erwählten, und das Publilische Ge-
setz die Wahlen auf die Tribus übertrug. Hundert Jahre
nach Servius Tullius Gesetzgebung konnten die Clienten
der Patricier steuerbares Eigenthum genug besitzen um in
diesen Versammlungen zu entscheiden, während sie von
denen der Tribus ausgeschlossen waren. Das ist aber ganz
unglaublich, und Livius unterstützt des Griechen widersin-
nigen Bericht nicht, daß die Tribunen bis dahin durch
die Curien erwählt geworden wären 78): Versamm-
lungen in denen höchstens die plebejischen Ritter der zwey-
ten Stämme erscheinen konnten. Das Volk war jetzt als
eine Gemeinde anerkannt, und in dieser Eigenschaft be-
durste es, außer seinen Repräsentanten, auch eigenthüm-
liche Obrigkeiten. Dieses waren die Aedilen, deren Ein-
setzung wenigstens nicht jünger als die der Tribunen gewe-
sen ist, mit deren Würde, nach unsern Annalen, ihr Amt
gleichzeitig begonnen haben soll. Die Gegenstände dessel-
ben sind in der alten Zeit sehr ungewiß: daß sie Polizey
übten, ist nicht zu bezweifeln; aber im Geist der alten Ver-
fassung konnte ihre Gewalt sich nur auf ihren eignen
Stand erstrecken. Unter ihrer unmittelbaren Aufsicht
stand der Cerestempel, wo sie nachher das Archiv der Se-
natsbeschlüsse bewahrten 79). Daher scheint der Nahme
ihres Amts entstanden zu seyn. Die Göttin des Acker-
baues war die nächste Beschützerin des Standes der

78) Dionysius IX. c. 41.
79) Livius III. c. 55.

Daher iſt es auch ſehr wahrſcheinlich daß zuerſt die
Klaſſen, jede den ſie vertretenden Tribun, oder die ſaͤmmt-
lichen Centurien alle erwaͤhlten, und das Publiliſche Ge-
ſetz die Wahlen auf die Tribus uͤbertrug. Hundert Jahre
nach Servius Tullius Geſetzgebung konnten die Clienten
der Patricier ſteuerbares Eigenthum genug beſitzen um in
dieſen Verſammlungen zu entſcheiden, waͤhrend ſie von
denen der Tribus ausgeſchloſſen waren. Das iſt aber ganz
unglaublich, und Livius unterſtuͤtzt des Griechen widerſin-
nigen Bericht nicht, daß die Tribunen bis dahin durch
die Curien erwaͤhlt geworden waͤren 78): Verſamm-
lungen in denen hoͤchſtens die plebejiſchen Ritter der zwey-
ten Staͤmme erſcheinen konnten. Das Volk war jetzt als
eine Gemeinde anerkannt, und in dieſer Eigenſchaft be-
durſte es, außer ſeinen Repraͤſentanten, auch eigenthuͤm-
liche Obrigkeiten. Dieſes waren die Aedilen, deren Ein-
ſetzung wenigſtens nicht juͤnger als die der Tribunen gewe-
ſen iſt, mit deren Wuͤrde, nach unſern Annalen, ihr Amt
gleichzeitig begonnen haben ſoll. Die Gegenſtaͤnde deſſel-
ben ſind in der alten Zeit ſehr ungewiß: daß ſie Polizey
uͤbten, iſt nicht zu bezweifeln; aber im Geiſt der alten Ver-
faſſung konnte ihre Gewalt ſich nur auf ihren eignen
Stand erſtrecken. Unter ihrer unmittelbaren Aufſicht
ſtand der Cerestempel, wo ſie nachher das Archiv der Se-
natsbeſchluͤſſe bewahrten 79). Daher ſcheint der Nahme
ihres Amts entſtanden zu ſeyn. Die Goͤttin des Acker-
baues war die naͤchſte Beſchuͤtzerin des Standes der

78) Dionyſius IX. c. 41.
79) Livius III. c. 55.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0447" n="425"/>
          <p>Daher i&#x017F;t es auch &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich daß zuer&#x017F;t die<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en, jede den &#x017F;ie vertretenden Tribun, oder die &#x017F;a&#x0364;mmt-<lb/>
lichen Centurien alle erwa&#x0364;hlten, und das Publili&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;etz die Wahlen auf die Tribus u&#x0364;bertrug. Hundert Jahre<lb/>
nach Servius Tullius Ge&#x017F;etzgebung konnten die Clienten<lb/>
der Patricier &#x017F;teuerbares Eigenthum genug be&#x017F;itzen um in<lb/>
die&#x017F;en Ver&#x017F;ammlungen zu ent&#x017F;cheiden, wa&#x0364;hrend &#x017F;ie von<lb/>
denen der Tribus ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en waren. Das i&#x017F;t aber ganz<lb/>
unglaublich, und Livius unter&#x017F;tu&#x0364;tzt des Griechen wider&#x017F;in-<lb/>
nigen Bericht nicht, daß die Tribunen bis dahin durch<lb/>
die Curien erwa&#x0364;hlt geworden wa&#x0364;ren <note place="foot" n="78)">Diony&#x017F;ius <hi rendition="#aq">IX. c.</hi> 41.</note>: Ver&#x017F;amm-<lb/>
lungen in denen ho&#x0364;ch&#x017F;tens die plebeji&#x017F;chen Ritter der zwey-<lb/>
ten Sta&#x0364;mme er&#x017F;cheinen konnten. Das Volk war jetzt als<lb/>
eine Gemeinde anerkannt, und in die&#x017F;er Eigen&#x017F;chaft be-<lb/>
dur&#x017F;te es, außer &#x017F;einen Repra&#x0364;&#x017F;entanten, auch eigenthu&#x0364;m-<lb/>
liche Obrigkeiten. Die&#x017F;es waren die Aedilen, deren Ein-<lb/>
&#x017F;etzung wenig&#x017F;tens nicht ju&#x0364;nger als die der Tribunen gewe-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t, mit deren Wu&#x0364;rde, nach un&#x017F;ern Annalen, ihr Amt<lb/>
gleichzeitig begonnen haben &#x017F;oll. Die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben &#x017F;ind in der alten Zeit &#x017F;ehr ungewiß: daß &#x017F;ie Polizey<lb/>
u&#x0364;bten, i&#x017F;t nicht zu bezweifeln; aber im Gei&#x017F;t der alten Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung konnte ihre Gewalt &#x017F;ich nur auf ihren eignen<lb/>
Stand er&#x017F;trecken. Unter ihrer unmittelbaren Auf&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;tand der Cerestempel, wo &#x017F;ie nachher das Archiv der Se-<lb/>
natsbe&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e bewahrten <note place="foot" n="79)">Livius <hi rendition="#aq">III. c.</hi> 55.</note>. Daher &#x017F;cheint der Nahme<lb/>
ihres Amts ent&#x017F;tanden zu &#x017F;eyn. Die Go&#x0364;ttin des Acker-<lb/>
baues war die na&#x0364;ch&#x017F;te Be&#x017F;chu&#x0364;tzerin des Standes der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0447] Daher iſt es auch ſehr wahrſcheinlich daß zuerſt die Klaſſen, jede den ſie vertretenden Tribun, oder die ſaͤmmt- lichen Centurien alle erwaͤhlten, und das Publiliſche Ge- ſetz die Wahlen auf die Tribus uͤbertrug. Hundert Jahre nach Servius Tullius Geſetzgebung konnten die Clienten der Patricier ſteuerbares Eigenthum genug beſitzen um in dieſen Verſammlungen zu entſcheiden, waͤhrend ſie von denen der Tribus ausgeſchloſſen waren. Das iſt aber ganz unglaublich, und Livius unterſtuͤtzt des Griechen widerſin- nigen Bericht nicht, daß die Tribunen bis dahin durch die Curien erwaͤhlt geworden waͤren 78): Verſamm- lungen in denen hoͤchſtens die plebejiſchen Ritter der zwey- ten Staͤmme erſcheinen konnten. Das Volk war jetzt als eine Gemeinde anerkannt, und in dieſer Eigenſchaft be- durſte es, außer ſeinen Repraͤſentanten, auch eigenthuͤm- liche Obrigkeiten. Dieſes waren die Aedilen, deren Ein- ſetzung wenigſtens nicht juͤnger als die der Tribunen gewe- ſen iſt, mit deren Wuͤrde, nach unſern Annalen, ihr Amt gleichzeitig begonnen haben ſoll. Die Gegenſtaͤnde deſſel- ben ſind in der alten Zeit ſehr ungewiß: daß ſie Polizey uͤbten, iſt nicht zu bezweifeln; aber im Geiſt der alten Ver- faſſung konnte ihre Gewalt ſich nur auf ihren eignen Stand erſtrecken. Unter ihrer unmittelbaren Aufſicht ſtand der Cerestempel, wo ſie nachher das Archiv der Se- natsbeſchluͤſſe bewahrten 79). Daher ſcheint der Nahme ihres Amts entſtanden zu ſeyn. Die Goͤttin des Acker- baues war die naͤchſte Beſchuͤtzerin des Standes der 78) Dionyſius IX. c. 41. 79) Livius III. c. 55.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/447
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/447>, abgerufen am 24.11.2024.