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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Volk bewaffnet einnahm; und dieser muß Cicero geglaubt
haben, welcher sagt, das Tribunat sey im Bürgerkrieg
entstanden, während die festen Gegenden der Stadt mit
den Waffen besetzt und belagert gewesen wären 67). Doch
muß er sie mit der andern vereinigt haben, weil er dieser
an der andern schon angeführten Stelle folgt. Was
glaublicher ist läßt sich nicht entscheiden; weit ausgebrei-
teter war aber gewiß die Sage von der friedlichen Aus-
wandrung auf den heiligen Berg. Auf diesem scheint das
Volk mehrere Monate gelagert gewesen zu seyn. Aus-
wanderer aus der Stadt verstärkten seine Zahl. Uns
däucht es unbegreiflich wie eine Stadt bey einer solchen
Auswandrung sich erhalten konnte, und freylich erscheint
die Friedensliebe der Nachbarn Roms unter solchen Um-
ständen in einem sehr günstigen Licht. Nicht weniger un-
begreiflich aber scheint es, wie bey einer allgemeinen Aus-
wandrung des Volks, wenn die Patricier auf ihre eigne
Zahl eingeschränkt waren, von Unterhandlungen die Rede
seyn konnte, und das Volk sich mit sehr bescheidnen
Bewilligungen beruhigte.

Doch so öde war Rom nicht wie eine Stadt un-
srer Zeit welche von allen verlassen würde die nicht zu
den höheren Ständen gehören. Zwar die Sklaven der
Patricier und der Ausgewanderten waren gefährliche
Mitbewohner; die Patricier selbst, wie zahlreich wir
uns auch ihre Geschlechter denken mögen, ein kleines
Volk in den weitläuftigen Mauern; aber ihre Clienten,
deren Sache ganz verschieden war von der des Volks,

67) Cicero de legibus. III. c. 8.

Volk bewaffnet einnahm; und dieſer muß Cicero geglaubt
haben, welcher ſagt, das Tribunat ſey im Buͤrgerkrieg
entſtanden, waͤhrend die feſten Gegenden der Stadt mit
den Waffen beſetzt und belagert geweſen waͤren 67). Doch
muß er ſie mit der andern vereinigt haben, weil er dieſer
an der andern ſchon angefuͤhrten Stelle folgt. Was
glaublicher iſt laͤßt ſich nicht entſcheiden; weit ausgebrei-
teter war aber gewiß die Sage von der friedlichen Aus-
wandrung auf den heiligen Berg. Auf dieſem ſcheint das
Volk mehrere Monate gelagert geweſen zu ſeyn. Aus-
wanderer aus der Stadt verſtaͤrkten ſeine Zahl. Uns
daͤucht es unbegreiflich wie eine Stadt bey einer ſolchen
Auswandrung ſich erhalten konnte, und freylich erſcheint
die Friedensliebe der Nachbarn Roms unter ſolchen Um-
ſtaͤnden in einem ſehr guͤnſtigen Licht. Nicht weniger un-
begreiflich aber ſcheint es, wie bey einer allgemeinen Aus-
wandrung des Volks, wenn die Patricier auf ihre eigne
Zahl eingeſchraͤnkt waren, von Unterhandlungen die Rede
ſeyn konnte, und das Volk ſich mit ſehr beſcheidnen
Bewilligungen beruhigte.

Doch ſo oͤde war Rom nicht wie eine Stadt un-
ſrer Zeit welche von allen verlaſſen wuͤrde die nicht zu
den hoͤheren Staͤnden gehoͤren. Zwar die Sklaven der
Patricier und der Ausgewanderten waren gefaͤhrliche
Mitbewohner; die Patricier ſelbſt, wie zahlreich wir
uns auch ihre Geſchlechter denken moͤgen, ein kleines
Volk in den weitlaͤuftigen Mauern; aber ihre Clienten,
deren Sache ganz verſchieden war von der des Volks,

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[412/0434] Volk bewaffnet einnahm; und dieſer muß Cicero geglaubt haben, welcher ſagt, das Tribunat ſey im Buͤrgerkrieg entſtanden, waͤhrend die feſten Gegenden der Stadt mit den Waffen beſetzt und belagert geweſen waͤren 67). Doch muß er ſie mit der andern vereinigt haben, weil er dieſer an der andern ſchon angefuͤhrten Stelle folgt. Was glaublicher iſt laͤßt ſich nicht entſcheiden; weit ausgebrei- teter war aber gewiß die Sage von der friedlichen Aus- wandrung auf den heiligen Berg. Auf dieſem ſcheint das Volk mehrere Monate gelagert geweſen zu ſeyn. Aus- wanderer aus der Stadt verſtaͤrkten ſeine Zahl. Uns daͤucht es unbegreiflich wie eine Stadt bey einer ſolchen Auswandrung ſich erhalten konnte, und freylich erſcheint die Friedensliebe der Nachbarn Roms unter ſolchen Um- ſtaͤnden in einem ſehr guͤnſtigen Licht. Nicht weniger un- begreiflich aber ſcheint es, wie bey einer allgemeinen Aus- wandrung des Volks, wenn die Patricier auf ihre eigne Zahl eingeſchraͤnkt waren, von Unterhandlungen die Rede ſeyn konnte, und das Volk ſich mit ſehr beſcheidnen Bewilligungen beruhigte. Doch ſo oͤde war Rom nicht wie eine Stadt un- ſrer Zeit welche von allen verlaſſen wuͤrde die nicht zu den hoͤheren Staͤnden gehoͤren. Zwar die Sklaven der Patricier und der Ausgewanderten waren gefaͤhrliche Mitbewohner; die Patricier ſelbſt, wie zahlreich wir uns auch ihre Geſchlechter denken moͤgen, ein kleines Volk in den weitlaͤuftigen Mauern; aber ihre Clienten, deren Sache ganz verſchieden war von der des Volks, 67) Cicero de legibus. III. c. 8.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/434>, abgerufen am 24.11.2024.