Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

so dieses von sero abgeleitet, ein am Abend gebohrnes
Kind. Der Schall hat wenigstens wenn er auch die Sage
von Servius niedriger Geburt nicht veranlaßt haben sollte,
dreist zu ihrer Verbreitung, und sie dem Hörer glaubli-
cher gemacht. Nach der alten und eigentlichen Dichtung
war aber seine Geburt eben so wunderbar als demüthig.
Ocrisia, eine Haussklavin der Königin aus der Cornicula-
nischen Beute, sah im Feuer des Heerds, wo sie dem
Hausgeist Fladen zum Opfer darbrachte, eine Erschei-
nung des Gottes. Die Königin Tanaquil gebot ihr, sich
als Braut geschmückt in der Kapelle einzuschließen. Sie
ward von einem Gott schwanger; die Römer nannten bald
den Hausgeist, bald Vulkanus Vater des Servius. Jene
unterstützten ihre Meinung durch das Fest der Laren wel-
ches Tullius gestiftet: diese durch den Schutz welchen der
Gott des Feuers seiner Statue gewährte 15).

Solche Sagen sind immer weit älter als die schein-
bar historischen, für deren Einführung in die alte römische
Geschichte der Annalist L. Piso Frugi verantwortlich zu
seyn scheint. In seinem nüchternen Geist wenigstens ist
die Erzählung, welche Dionysius ergriffen hat: es habe zu
Corniculum, einer der latinischen Städte nördlich vom
Anio, ein sehr angesehener Mann gewohnt, auch des Nah-
mens Servius Tullius. Dieser sey bey der Einnahme von
Corniculum mit allen Bewaffneten erschlagen worden;
seine hochschwangre Wittwe aber mit den übrigen Gefan-
genen nach Rom weggeführt, wo sie aus Achtung für ih-
ren vornehmen Stand der Königin zugetheilt, und in

15) Ovidius Fast. 1. VI. v. 625. ff.

ſo dieſes von sero abgeleitet, ein am Abend gebohrnes
Kind. Der Schall hat wenigſtens wenn er auch die Sage
von Servius niedriger Geburt nicht veranlaßt haben ſollte,
dreiſt zu ihrer Verbreitung, und ſie dem Hoͤrer glaubli-
cher gemacht. Nach der alten und eigentlichen Dichtung
war aber ſeine Geburt eben ſo wunderbar als demuͤthig.
Ocriſia, eine Hausſklavin der Koͤnigin aus der Cornicula-
niſchen Beute, ſah im Feuer des Heerds, wo ſie dem
Hausgeiſt Fladen zum Opfer darbrachte, eine Erſchei-
nung des Gottes. Die Koͤnigin Tanaquil gebot ihr, ſich
als Braut geſchmuͤckt in der Kapelle einzuſchließen. Sie
ward von einem Gott ſchwanger; die Roͤmer nannten bald
den Hausgeiſt, bald Vulkanus Vater des Servius. Jene
unterſtuͤtzten ihre Meinung durch das Feſt der Laren wel-
ches Tullius geſtiftet: dieſe durch den Schutz welchen der
Gott des Feuers ſeiner Statue gewaͤhrte 15).

Solche Sagen ſind immer weit aͤlter als die ſchein-
bar hiſtoriſchen, fuͤr deren Einfuͤhrung in die alte roͤmiſche
Geſchichte der Annaliſt L. Piſo Frugi verantwortlich zu
ſeyn ſcheint. In ſeinem nuͤchternen Geiſt wenigſtens iſt
die Erzaͤhlung, welche Dionyſius ergriffen hat: es habe zu
Corniculum, einer der latiniſchen Staͤdte noͤrdlich vom
Anio, ein ſehr angeſehener Mann gewohnt, auch des Nah-
mens Servius Tullius. Dieſer ſey bey der Einnahme von
Corniculum mit allen Bewaffneten erſchlagen worden;
ſeine hochſchwangre Wittwe aber mit den uͤbrigen Gefan-
genen nach Rom weggefuͤhrt, wo ſie aus Achtung fuͤr ih-
ren vornehmen Stand der Koͤnigin zugetheilt, und in

15) Ovidius Fast. 1. VI. v. 625. ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="245"/>
&#x017F;o die&#x017F;es von <hi rendition="#aq">sero</hi> abgeleitet, ein am Abend gebohrnes<lb/>
Kind. Der Schall hat wenig&#x017F;tens wenn er auch die Sage<lb/>
von Servius niedriger Geburt nicht veranlaßt haben &#x017F;ollte,<lb/>
drei&#x017F;t zu ihrer Verbreitung, und &#x017F;ie dem Ho&#x0364;rer glaubli-<lb/>
cher gemacht. Nach der alten und eigentlichen Dichtung<lb/>
war aber &#x017F;eine Geburt eben &#x017F;o wunderbar als demu&#x0364;thig.<lb/>
Ocri&#x017F;ia, eine Haus&#x017F;klavin der Ko&#x0364;nigin aus der Cornicula-<lb/>
ni&#x017F;chen Beute, &#x017F;ah im Feuer des Heerds, wo &#x017F;ie dem<lb/>
Hausgei&#x017F;t Fladen zum Opfer darbrachte, eine Er&#x017F;chei-<lb/>
nung des Gottes. Die Ko&#x0364;nigin Tanaquil gebot ihr, &#x017F;ich<lb/>
als Braut ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt in der Kapelle einzu&#x017F;chließen. Sie<lb/>
ward von einem Gott &#x017F;chwanger; die Ro&#x0364;mer nannten bald<lb/>
den Hausgei&#x017F;t, bald Vulkanus Vater des Servius. Jene<lb/>
unter&#x017F;tu&#x0364;tzten ihre Meinung durch das Fe&#x017F;t der Laren wel-<lb/>
ches Tullius ge&#x017F;tiftet: die&#x017F;e durch den Schutz welchen der<lb/>
Gott des Feuers &#x017F;einer Statue gewa&#x0364;hrte <note place="foot" n="15)">Ovidius <hi rendition="#aq">Fast. 1. VI. v. 625.</hi> ff.</note>.</p><lb/>
          <p>Solche Sagen &#x017F;ind immer weit a&#x0364;lter als die &#x017F;chein-<lb/>
bar hi&#x017F;tori&#x017F;chen, fu&#x0364;r deren Einfu&#x0364;hrung in die alte ro&#x0364;mi&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;chichte der Annali&#x017F;t L. Pi&#x017F;o Frugi verantwortlich zu<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;cheint. In &#x017F;einem nu&#x0364;chternen Gei&#x017F;t wenig&#x017F;tens i&#x017F;t<lb/>
die Erza&#x0364;hlung, welche Diony&#x017F;ius ergriffen hat: es habe zu<lb/>
Corniculum, einer der latini&#x017F;chen Sta&#x0364;dte no&#x0364;rdlich vom<lb/>
Anio, ein &#x017F;ehr ange&#x017F;ehener Mann gewohnt, auch des Nah-<lb/>
mens Servius Tullius. Die&#x017F;er &#x017F;ey bey der Einnahme von<lb/>
Corniculum mit allen Bewaffneten er&#x017F;chlagen worden;<lb/>
&#x017F;eine hoch&#x017F;chwangre Wittwe aber mit den u&#x0364;brigen Gefan-<lb/>
genen nach Rom weggefu&#x0364;hrt, wo &#x017F;ie aus Achtung fu&#x0364;r ih-<lb/>
ren vornehmen Stand der Ko&#x0364;nigin zugetheilt, und in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0267] ſo dieſes von sero abgeleitet, ein am Abend gebohrnes Kind. Der Schall hat wenigſtens wenn er auch die Sage von Servius niedriger Geburt nicht veranlaßt haben ſollte, dreiſt zu ihrer Verbreitung, und ſie dem Hoͤrer glaubli- cher gemacht. Nach der alten und eigentlichen Dichtung war aber ſeine Geburt eben ſo wunderbar als demuͤthig. Ocriſia, eine Hausſklavin der Koͤnigin aus der Cornicula- niſchen Beute, ſah im Feuer des Heerds, wo ſie dem Hausgeiſt Fladen zum Opfer darbrachte, eine Erſchei- nung des Gottes. Die Koͤnigin Tanaquil gebot ihr, ſich als Braut geſchmuͤckt in der Kapelle einzuſchließen. Sie ward von einem Gott ſchwanger; die Roͤmer nannten bald den Hausgeiſt, bald Vulkanus Vater des Servius. Jene unterſtuͤtzten ihre Meinung durch das Feſt der Laren wel- ches Tullius geſtiftet: dieſe durch den Schutz welchen der Gott des Feuers ſeiner Statue gewaͤhrte 15). Solche Sagen ſind immer weit aͤlter als die ſchein- bar hiſtoriſchen, fuͤr deren Einfuͤhrung in die alte roͤmiſche Geſchichte der Annaliſt L. Piſo Frugi verantwortlich zu ſeyn ſcheint. In ſeinem nuͤchternen Geiſt wenigſtens iſt die Erzaͤhlung, welche Dionyſius ergriffen hat: es habe zu Corniculum, einer der latiniſchen Staͤdte noͤrdlich vom Anio, ein ſehr angeſehener Mann gewohnt, auch des Nah- mens Servius Tullius. Dieſer ſey bey der Einnahme von Corniculum mit allen Bewaffneten erſchlagen worden; ſeine hochſchwangre Wittwe aber mit den uͤbrigen Gefan- genen nach Rom weggefuͤhrt, wo ſie aus Achtung fuͤr ih- ren vornehmen Stand der Koͤnigin zugetheilt, und in 15) Ovidius Fast. 1. VI. v. 625. ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/267
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/267>, abgerufen am 22.11.2024.