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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Patricier 9), ein Auspicium vorgebend, seine Absicht ver-
eiteln würden. Daher wollte er das Ansehen der Auspi-
cien durch öffentliche Beschämung brechen, wie Krösus
einige Zeit nach ihm die Wahrhaftigkeit der Orakel auf die
Probe stellte; und verpflichtete den Augur zu prüfen ob
der Gegenstand seines Gedankens möglich sey oder unmög-
lich. Als Attus die Möglichkeit versichert hatte, gebot er
ihm einen Schleifstein mit einem Scheermesser zu spalten;
Navius vollbrachte es ohne zu zögern: dafür ward ihm
eine Statue errichtet; oder eine Priesterstatue mit ver-
hülltem Haupt von der spätern Zeit auf ihn gedeutet.
Stein und Messer waren neben ihr, in einen Brunnen
versenkt, aufbewahrt 10).

Dieses Zeichen entsetzte den König, und zwang ihn
sein Vorhaben aufzugeben: doch erreichte er das we-
sentliche seines Zwecks indem er jedem alten Stamm
einen zweyten unter gleichem Nahmen von einer glei-
chen Zahl neuer Ritter zugesellte: so daß jeder anstatt
aus dreyhundert jetzt aus sechshunderten, der ganze Rit-
terstand aus achtzehnhunderten bestand. Die Zahl der
Curien zwar ward dadurch nicht vermehrt, wie es des

Königs
9) Navius selbst, obgleich der weiseste in seiner Kunst, ge-
hörte nicht zum Collegium (Dionysius III. c. 70.), er war
der Sohn eines armen Bauern.
10) Selbst diese Sage hat eine zwiefache Gestalt: denn es
wird auch ohne Erwähnung der politischen Veränderung
erzählt, der König habe den Augur, seiner eignen Ueber-
zeugung wegen, geprüft, und ihm nachher sein ganzes Ver-
trauen geschenkt. Cicero de Divin. I. c. 17.

Patricier 9), ein Auſpicium vorgebend, ſeine Abſicht ver-
eiteln wuͤrden. Daher wollte er das Anſehen der Auſpi-
cien durch oͤffentliche Beſchaͤmung brechen, wie Kroͤſus
einige Zeit nach ihm die Wahrhaftigkeit der Orakel auf die
Probe ſtellte; und verpflichtete den Augur zu pruͤfen ob
der Gegenſtand ſeines Gedankens moͤglich ſey oder unmoͤg-
lich. Als Attus die Moͤglichkeit verſichert hatte, gebot er
ihm einen Schleifſtein mit einem Scheermeſſer zu ſpalten;
Navius vollbrachte es ohne zu zoͤgern: dafuͤr ward ihm
eine Statue errichtet; oder eine Prieſterſtatue mit ver-
huͤlltem Haupt von der ſpaͤtern Zeit auf ihn gedeutet.
Stein und Meſſer waren neben ihr, in einen Brunnen
verſenkt, aufbewahrt 10).

Dieſes Zeichen entſetzte den Koͤnig, und zwang ihn
ſein Vorhaben aufzugeben: doch erreichte er das we-
ſentliche ſeines Zwecks indem er jedem alten Stamm
einen zweyten unter gleichem Nahmen von einer glei-
chen Zahl neuer Ritter zugeſellte: ſo daß jeder anſtatt
aus dreyhundert jetzt aus ſechshunderten, der ganze Rit-
terſtand aus achtzehnhunderten beſtand. Die Zahl der
Curien zwar ward dadurch nicht vermehrt, wie es des

Koͤnigs
9) Navius ſelbſt, obgleich der weiſeſte in ſeiner Kunſt, ge-
hoͤrte nicht zum Collegium (Dionyſius III. c. 70.), er war
der Sohn eines armen Bauern.
10) Selbſt dieſe Sage hat eine zwiefache Geſtalt: denn es
wird auch ohne Erwaͤhnung der politiſchen Veraͤnderung
erzaͤhlt, der Koͤnig habe den Augur, ſeiner eignen Ueber-
zeugung wegen, gepruͤft, und ihm nachher ſein ganzes Ver-
trauen geſchenkt. Cicero de Divin. I. c. 17.
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[240/0262] Patricier 9), ein Auſpicium vorgebend, ſeine Abſicht ver- eiteln wuͤrden. Daher wollte er das Anſehen der Auſpi- cien durch oͤffentliche Beſchaͤmung brechen, wie Kroͤſus einige Zeit nach ihm die Wahrhaftigkeit der Orakel auf die Probe ſtellte; und verpflichtete den Augur zu pruͤfen ob der Gegenſtand ſeines Gedankens moͤglich ſey oder unmoͤg- lich. Als Attus die Moͤglichkeit verſichert hatte, gebot er ihm einen Schleifſtein mit einem Scheermeſſer zu ſpalten; Navius vollbrachte es ohne zu zoͤgern: dafuͤr ward ihm eine Statue errichtet; oder eine Prieſterſtatue mit ver- huͤlltem Haupt von der ſpaͤtern Zeit auf ihn gedeutet. Stein und Meſſer waren neben ihr, in einen Brunnen verſenkt, aufbewahrt 10). Dieſes Zeichen entſetzte den Koͤnig, und zwang ihn ſein Vorhaben aufzugeben: doch erreichte er das we- ſentliche ſeines Zwecks indem er jedem alten Stamm einen zweyten unter gleichem Nahmen von einer glei- chen Zahl neuer Ritter zugeſellte: ſo daß jeder anſtatt aus dreyhundert jetzt aus ſechshunderten, der ganze Rit- terſtand aus achtzehnhunderten beſtand. Die Zahl der Curien zwar ward dadurch nicht vermehrt, wie es des Koͤnigs 9) Navius ſelbſt, obgleich der weiſeſte in ſeiner Kunſt, ge- hoͤrte nicht zum Collegium (Dionyſius III. c. 70.), er war der Sohn eines armen Bauern. 10) Selbſt dieſe Sage hat eine zwiefache Geſtalt: denn es wird auch ohne Erwaͤhnung der politiſchen Veraͤnderung erzaͤhlt, der Koͤnig habe den Augur, ſeiner eignen Ueber- zeugung wegen, gepruͤft, und ihm nachher ſein ganzes Ver- trauen geſchenkt. Cicero de Divin. I. c. 17.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/262>, abgerufen am 22.11.2024.