Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Ausbreitung eines Stamms wie keine Geschlechtsre-
gister sie zeigen können. Die Aelier, als Plebejer können
nur als Municipalgeschlecht hier angeführt werden: auch
sie bestanden aus vielen Familien 400), und selbst die fa-
belhafte Genealogie der Lamier, die ihr Geschlecht auf La-
mus von Formiä zurückführten, beweißt daß eine einzelne
Familie für sich eine von den übrigen Gentilen verschiedne
Abstammung annehmen konnte. Daß viele Geschlechter
sich, in späteren Zeiten, als der Begriff der Gentilität
nur noch gelehrten Rechtskundigen klar war, von einem
mythischen Stammvater herleiteten ist in dem allgemeinen
genealogischen Sinn gegründet, der allenthalben einen
ursprünglichen Keim für alles Ausgebreitete einer Art
aufsucht 1).

Bey dieser Gleichheit der römischen und attischen
Gentilität ist der weitere Schluß erlaubt, daß die Zahl der
Geschlechter auf ähnliche Weise bestimmt war. Hierüber
läßt sich nur eine Vermuthung bilden: die nämlich daß,
wie der Senat aus dreyhundert Vätern bestand, jede Curie
zehn Geschlechter, die drey Stämme dreyhundert enthal-
ten haben mögen: eine Zahl, welche zu den Tagen des
cyclischen Jahrs in demselben Verhältnisse steht 2), wie
die der attischen Geschlechter zu denen des Sonnenjahrs.


400) Festus im Auszug s. v. Gens Aelia.
1) Eine schöne Analogie für die alte Gentilität gewähren die
alten Ditmarsischen Klüfte, in denen sehr verschiedene Fa-
milien enthalten waren.
2) 300 statt 304.

eine Ausbreitung eines Stamms wie keine Geſchlechtsre-
giſter ſie zeigen koͤnnen. Die Aelier, als Plebejer koͤnnen
nur als Municipalgeſchlecht hier angefuͤhrt werden: auch
ſie beſtanden aus vielen Familien 400), und ſelbſt die fa-
belhafte Genealogie der Lamier, die ihr Geſchlecht auf La-
mus von Formiaͤ zuruͤckfuͤhrten, beweißt daß eine einzelne
Familie fuͤr ſich eine von den uͤbrigen Gentilen verſchiedne
Abſtammung annehmen konnte. Daß viele Geſchlechter
ſich, in ſpaͤteren Zeiten, als der Begriff der Gentilitaͤt
nur noch gelehrten Rechtskundigen klar war, von einem
mythiſchen Stammvater herleiteten iſt in dem allgemeinen
genealogiſchen Sinn gegruͤndet, der allenthalben einen
urſpruͤnglichen Keim fuͤr alles Ausgebreitete einer Art
aufſucht 1).

Bey dieſer Gleichheit der roͤmiſchen und attiſchen
Gentilitaͤt iſt der weitere Schluß erlaubt, daß die Zahl der
Geſchlechter auf aͤhnliche Weiſe beſtimmt war. Hieruͤber
laͤßt ſich nur eine Vermuthung bilden: die naͤmlich daß,
wie der Senat aus dreyhundert Vaͤtern beſtand, jede Curie
zehn Geſchlechter, die drey Staͤmme dreyhundert enthal-
ten haben moͤgen: eine Zahl, welche zu den Tagen des
cycliſchen Jahrs in demſelben Verhaͤltniſſe ſteht 2), wie
die der attiſchen Geſchlechter zu denen des Sonnenjahrs.


400) Feſtus im Auszug s. v. Gens Aelia.
1) Eine ſchoͤne Analogie fuͤr die alte Gentilitaͤt gewaͤhren die
alten Ditmarſiſchen Kluͤfte, in denen ſehr verſchiedene Fa-
milien enthalten waren.
2) 300 ſtatt 304.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="233"/>
eine Ausbreitung eines Stamms wie keine Ge&#x017F;chlechtsre-<lb/>
gi&#x017F;ter &#x017F;ie zeigen ko&#x0364;nnen. Die Aelier, als Plebejer ko&#x0364;nnen<lb/>
nur als Municipalge&#x017F;chlecht hier angefu&#x0364;hrt werden: auch<lb/>
&#x017F;ie be&#x017F;tanden aus vielen Familien <note place="foot" n="400)">Fe&#x017F;tus im Auszug <hi rendition="#aq">s. v. Gens Aelia.</hi></note>, und &#x017F;elb&#x017F;t die fa-<lb/>
belhafte Genealogie der Lamier, die ihr Ge&#x017F;chlecht auf La-<lb/>
mus von Formia&#x0364; zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hrten, beweißt daß eine einzelne<lb/>
Familie fu&#x0364;r &#x017F;ich eine von den u&#x0364;brigen Gentilen ver&#x017F;chiedne<lb/>
Ab&#x017F;tammung annehmen konnte. Daß viele Ge&#x017F;chlechter<lb/>
&#x017F;ich, in &#x017F;pa&#x0364;teren Zeiten, als der Begriff der Gentilita&#x0364;t<lb/>
nur noch gelehrten Rechtskundigen klar war, von einem<lb/>
mythi&#x017F;chen Stammvater herleiteten i&#x017F;t in dem allgemeinen<lb/>
genealogi&#x017F;chen Sinn gegru&#x0364;ndet, der allenthalben einen<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Keim fu&#x0364;r alles Ausgebreitete einer Art<lb/>
auf&#x017F;ucht <note place="foot" n="1)">Eine &#x017F;cho&#x0364;ne Analogie fu&#x0364;r die alte Gentilita&#x0364;t gewa&#x0364;hren die<lb/>
alten Ditmar&#x017F;i&#x017F;chen Klu&#x0364;fte, in denen &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedene Fa-<lb/>
milien enthalten waren.</note>.</p><lb/>
          <p>Bey die&#x017F;er Gleichheit der ro&#x0364;mi&#x017F;chen und atti&#x017F;chen<lb/>
Gentilita&#x0364;t i&#x017F;t der weitere Schluß erlaubt, daß die Zahl der<lb/>
Ge&#x017F;chlechter auf a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e be&#x017F;timmt war. Hieru&#x0364;ber<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich nur eine Vermuthung bilden: die na&#x0364;mlich daß,<lb/>
wie der Senat aus dreyhundert Va&#x0364;tern be&#x017F;tand, jede Curie<lb/>
zehn Ge&#x017F;chlechter, die drey Sta&#x0364;mme dreyhundert enthal-<lb/>
ten haben mo&#x0364;gen: eine Zahl, welche zu den Tagen des<lb/>
cycli&#x017F;chen Jahrs in dem&#x017F;elben Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;teht <note place="foot" n="2)">300 &#x017F;tatt 304.</note>, wie<lb/>
die der atti&#x017F;chen Ge&#x017F;chlechter zu denen des Sonnenjahrs.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0255] eine Ausbreitung eines Stamms wie keine Geſchlechtsre- giſter ſie zeigen koͤnnen. Die Aelier, als Plebejer koͤnnen nur als Municipalgeſchlecht hier angefuͤhrt werden: auch ſie beſtanden aus vielen Familien 400), und ſelbſt die fa- belhafte Genealogie der Lamier, die ihr Geſchlecht auf La- mus von Formiaͤ zuruͤckfuͤhrten, beweißt daß eine einzelne Familie fuͤr ſich eine von den uͤbrigen Gentilen verſchiedne Abſtammung annehmen konnte. Daß viele Geſchlechter ſich, in ſpaͤteren Zeiten, als der Begriff der Gentilitaͤt nur noch gelehrten Rechtskundigen klar war, von einem mythiſchen Stammvater herleiteten iſt in dem allgemeinen genealogiſchen Sinn gegruͤndet, der allenthalben einen urſpruͤnglichen Keim fuͤr alles Ausgebreitete einer Art aufſucht 1). Bey dieſer Gleichheit der roͤmiſchen und attiſchen Gentilitaͤt iſt der weitere Schluß erlaubt, daß die Zahl der Geſchlechter auf aͤhnliche Weiſe beſtimmt war. Hieruͤber laͤßt ſich nur eine Vermuthung bilden: die naͤmlich daß, wie der Senat aus dreyhundert Vaͤtern beſtand, jede Curie zehn Geſchlechter, die drey Staͤmme dreyhundert enthal- ten haben moͤgen: eine Zahl, welche zu den Tagen des cycliſchen Jahrs in demſelben Verhaͤltniſſe ſteht 2), wie die der attiſchen Geſchlechter zu denen des Sonnenjahrs. 400) Feſtus im Auszug s. v. Gens Aelia. 1) Eine ſchoͤne Analogie fuͤr die alte Gentilitaͤt gewaͤhren die alten Ditmarſiſchen Kluͤfte, in denen ſehr verſchiedene Fa- milien enthalten waren. 2) 300 ſtatt 304.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/255
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/255>, abgerufen am 25.11.2024.