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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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weil die griechischen Theaterschauspiele erst in einem Zeit-
alter eingeführt wurden, worin die Democratie vor-
herrschte; und die alte Ordnung des Circus hier vielleicht
um so weniger angewandt ward, weil, wie es sich nicht be-
zweifeln läßt, anfänglich die höheren Stände am festesten
an den alten Sitten hielten, und die Neuerung gleichgültig
behandelten. Jenes aber ist in dem Sinn allerdings richtig,
daß der Begriff des Ritterstandes im siebenten Jahrhun-
dert weit verschieden von demjenigen der ältesten Zeit war:
aber einen abgesonderten Stand kann man in den Rittern
so wenig in der alten Zeit der Republik als unter den Kö-
nigen verkennen. Es war eine Form welche Rom mit der
eigenthümlichen Lebendigkeit seiner Verfassung, ohne ihr
Wesen aufzugeben, jedem Zeitalter kunstlos und durch
freye Entwicklung gerecht machte, so daß der Begriff und
die Eigenthümlichkeit des Ritterstands, und sein Sinn
sich nirgends im Verlauf der vielen Jahrhunderte durch
einen Sprung verändert findet, und immer der Freyheit
wohlthätig war.

Dionysius und Livius wähnen die älteste Verfassung
Roms, welche allerdings Republik unter einem Wahlfür-
sten war, sey völlig demokratisch gewesen, und die
Stimme jedes Bürgers hätte in der Versannnlung gleich
gegolten 74). Von jenem ist dies um so auffallender, da
er früher die Verfassung nach Romulus Gesetzen streng
aristocratisch schildert 75), und kaum eine Volksgemeinde

74) Dionysius IV. c. 20. Livius I. c. 43.
75) Dionysius II. c. 9.

weil die griechiſchen Theaterſchauſpiele erſt in einem Zeit-
alter eingefuͤhrt wurden, worin die Democratie vor-
herrſchte; und die alte Ordnung des Circus hier vielleicht
um ſo weniger angewandt ward, weil, wie es ſich nicht be-
zweifeln laͤßt, anfaͤnglich die hoͤheren Staͤnde am feſteſten
an den alten Sitten hielten, und die Neuerung gleichguͤltig
behandelten. Jenes aber iſt in dem Sinn allerdings richtig,
daß der Begriff des Ritterſtandes im ſiebenten Jahrhun-
dert weit verſchieden von demjenigen der aͤlteſten Zeit war:
aber einen abgeſonderten Stand kann man in den Rittern
ſo wenig in der alten Zeit der Republik als unter den Koͤ-
nigen verkennen. Es war eine Form welche Rom mit der
eigenthuͤmlichen Lebendigkeit ſeiner Verfaſſung, ohne ihr
Weſen aufzugeben, jedem Zeitalter kunſtlos und durch
freye Entwicklung gerecht machte, ſo daß der Begriff und
die Eigenthuͤmlichkeit des Ritterſtands, und ſein Sinn
ſich nirgends im Verlauf der vielen Jahrhunderte durch
einen Sprung veraͤndert findet, und immer der Freyheit
wohlthaͤtig war.

Dionyſius und Livius waͤhnen die aͤlteſte Verfaſſung
Roms, welche allerdings Republik unter einem Wahlfuͤr-
ſten war, ſey voͤllig demokratiſch geweſen, und die
Stimme jedes Buͤrgers haͤtte in der Verſannnlung gleich
gegolten 74). Von jenem iſt dies um ſo auffallender, da
er fruͤher die Verfaſſung nach Romulus Geſetzen ſtreng
ariſtocratiſch ſchildert 75), und kaum eine Volksgemeinde

74) Dionyſius IV. c. 20. Livius I. c. 43.
75) Dionyſius II. c. 9.
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[220/0242] weil die griechiſchen Theaterſchauſpiele erſt in einem Zeit- alter eingefuͤhrt wurden, worin die Democratie vor- herrſchte; und die alte Ordnung des Circus hier vielleicht um ſo weniger angewandt ward, weil, wie es ſich nicht be- zweifeln laͤßt, anfaͤnglich die hoͤheren Staͤnde am feſteſten an den alten Sitten hielten, und die Neuerung gleichguͤltig behandelten. Jenes aber iſt in dem Sinn allerdings richtig, daß der Begriff des Ritterſtandes im ſiebenten Jahrhun- dert weit verſchieden von demjenigen der aͤlteſten Zeit war: aber einen abgeſonderten Stand kann man in den Rittern ſo wenig in der alten Zeit der Republik als unter den Koͤ- nigen verkennen. Es war eine Form welche Rom mit der eigenthuͤmlichen Lebendigkeit ſeiner Verfaſſung, ohne ihr Weſen aufzugeben, jedem Zeitalter kunſtlos und durch freye Entwicklung gerecht machte, ſo daß der Begriff und die Eigenthuͤmlichkeit des Ritterſtands, und ſein Sinn ſich nirgends im Verlauf der vielen Jahrhunderte durch einen Sprung veraͤndert findet, und immer der Freyheit wohlthaͤtig war. Dionyſius und Livius waͤhnen die aͤlteſte Verfaſſung Roms, welche allerdings Republik unter einem Wahlfuͤr- ſten war, ſey voͤllig demokratiſch geweſen, und die Stimme jedes Buͤrgers haͤtte in der Verſannnlung gleich gegolten 74). Von jenem iſt dies um ſo auffallender, da er fruͤher die Verfaſſung nach Romulus Geſetzen ſtreng ariſtocratiſch ſchildert 75), und kaum eine Volksgemeinde 74) Dionyſius IV. c. 20. Livius I. c. 43. 75) Dionyſius II. c. 9.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/242>, abgerufen am 17.05.2024.