Ich habe es unternommen die Geschichte Roms zu er- zählen; ich werde in der Nacht des tiefen Alterthums be- ginnen, wo angestrengte Forschung, bey dem schwachen Licht später und zweifelhafter Sagen, kaum einige der Hauptmassen des uralten Italiens zu unterscheiden ver- mag, und wünsche bis zu den Zeiten hinabzugehen in de- nen eine zweite Nacht alles, was wir in der langen Reihe von Jahrhunderten entstehen und altern sahen, in Gräber und Trümmer versunken, mit beinahe gleich tiefer Fin- sterniß verdeckt.
Allgemein ist diese Geschichte in ihren großen Umris- sen, und sehr vielen, wenigstens zum Theil, unmittelbar aus den classischen Werken Römischer Schriftsteller be- kannt, so weit uns in ihnen die Schilderung vieler der glänzendsten oder merkwürdigsten Epochen des republikani- schen und kaiserlichen Roms erhalten ist. Wären diese Werke in ihrem ganzen Umfange vorhanden; besäßen wir in Livius und Tacitus Geschichten eine -- Augusts letzte Jahre ausgenommen -- zusammenhängende Geschichte vom Anfang der Stadt bis auf Nerva; so würde es thö- richt und zweckwidrig seyn, die Erzählung derselben Bege- benheiten, welche diese Historiker vorgetragen haben, zu unternehmen. Thöricht, weil ihre Schönheit uns uner-
Erster Theil. A
Ich habe es unternommen die Geſchichte Roms zu er- zaͤhlen; ich werde in der Nacht des tiefen Alterthums be- ginnen, wo angeſtrengte Forſchung, bey dem ſchwachen Licht ſpaͤter und zweifelhafter Sagen, kaum einige der Hauptmaſſen des uralten Italiens zu unterſcheiden ver- mag, und wuͤnſche bis zu den Zeiten hinabzugehen in de- nen eine zweite Nacht alles, was wir in der langen Reihe von Jahrhunderten entſtehen und altern ſahen, in Graͤber und Truͤmmer verſunken, mit beinahe gleich tiefer Fin- ſterniß verdeckt.
Allgemein iſt dieſe Geſchichte in ihren großen Umriſ- ſen, und ſehr vielen, wenigſtens zum Theil, unmittelbar aus den claſſiſchen Werken Roͤmiſcher Schriftſteller be- kannt, ſo weit uns in ihnen die Schilderung vieler der glaͤnzendſten oder merkwuͤrdigſten Epochen des republikani- ſchen und kaiſerlichen Roms erhalten iſt. Waͤren dieſe Werke in ihrem ganzen Umfange vorhanden; beſaͤßen wir in Livius und Tacitus Geſchichten eine — Auguſts letzte Jahre ausgenommen — zuſammenhaͤngende Geſchichte vom Anfang der Stadt bis auf Nerva; ſo wuͤrde es thoͤ- richt und zweckwidrig ſeyn, die Erzaͤhlung derſelben Bege- benheiten, welche dieſe Hiſtoriker vorgetragen haben, zu unternehmen. Thoͤricht, weil ihre Schoͤnheit uns uner-
Erſter Theil. A
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Ich habe es unternommen die Geſchichte Roms zu er-
zaͤhlen; ich werde in der Nacht des tiefen Alterthums be-
ginnen, wo angeſtrengte Forſchung, bey dem ſchwachen
Licht ſpaͤter und zweifelhafter Sagen, kaum einige der
Hauptmaſſen des uralten Italiens zu unterſcheiden ver-
mag, und wuͤnſche bis zu den Zeiten hinabzugehen in de-
nen eine zweite Nacht alles, was wir in der langen Reihe
von Jahrhunderten entſtehen und altern ſahen, in Graͤber
und Truͤmmer verſunken, mit beinahe gleich tiefer Fin-
ſterniß verdeckt.
Allgemein iſt dieſe Geſchichte in ihren großen Umriſ-
ſen, und ſehr vielen, wenigſtens zum Theil, unmittelbar
aus den claſſiſchen Werken Roͤmiſcher Schriftſteller be-
kannt, ſo weit uns in ihnen die Schilderung vieler der
glaͤnzendſten oder merkwuͤrdigſten Epochen des republikani-
ſchen und kaiſerlichen Roms erhalten iſt. Waͤren dieſe
Werke in ihrem ganzen Umfange vorhanden; beſaͤßen wir
in Livius und Tacitus Geſchichten eine — Auguſts letzte
Jahre ausgenommen — zuſammenhaͤngende Geſchichte
vom Anfang der Stadt bis auf Nerva; ſo wuͤrde es thoͤ-
richt und zweckwidrig ſeyn, die Erzaͤhlung derſelben Bege-
benheiten, welche dieſe Hiſtoriker vorgetragen haben, zu
unternehmen. Thoͤricht, weil ihre Schoͤnheit uns uner-
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/23>, abgerufen am 22.11.2024.
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