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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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noch erhalten angeführt: ihr Inhalt aber ist mit der
Geschichtserzählung theils gar nicht, theils schwer zu
vereinigen.

Annalen aus den Zeiten der Könige, wie die pon-
tificischen, welche allerdings schon in einer sehr frühen
Epoche der Republik gleichzeitig heißen können, scheinen
nie auch nur vorgegeben zu seyn. Die Fasten welche
Polybius bey den Pontifices sah 23), müssen allerdings
auch die Regierungsjahre der Könige angegeben haben
weil er nach ihnen das Olympiadenjahr der Gründung
Roms berechnete: aber Fasten mit einigen Anzeichnun-
gen sind sogar von der dürrsten Chronik noch weit ver-
schieden. Es mag nicht als entscheidend dafür, daß
Rom nichts annalenähnliches aus dem königlichen Zeit-
alter hatte, gelten, daß die erste Meldung des Säcu-
larfests bey dem Jahr 298 geschieht: man könnte die-
sen an sich sehr bedeutenden Beweis nicht ohne Schein
entkräften wenn man bemerkte, Censorinus führe die
Bücher der Aufseher der Sibyllenweissagungen an, wel-
che erst vom letzten Könige eingesetzt wären. Ich denke
doch, da er diese sah würde er auch, wären sie vor-

handen
23) Dionysius I. c. 74. Hier liest der Text: eki tou tara tois
Agkhiseusi keimenou pinakos -- ten pisin apolabein. Je-
nes Wort giebt gar keinen Sinn: denn eine Stadt An-
chise existirte nur im Traume des Kephalon, am wenigsten
in Polybius Zeitalter. Die Vaticanische Handschrift giebt
agkhiseusi: ich lese arkhiereusi, welches Polybius für die
Pontifices braucht (XXIII. 1. 2. XXXII. 22. 5.), obgleich
Dionysius sie ieromnemones nennt.

noch erhalten angefuͤhrt: ihr Inhalt aber iſt mit der
Geſchichtserzaͤhlung theils gar nicht, theils ſchwer zu
vereinigen.

Annalen aus den Zeiten der Koͤnige, wie die pon-
tificiſchen, welche allerdings ſchon in einer ſehr fruͤhen
Epoche der Republik gleichzeitig heißen koͤnnen, ſcheinen
nie auch nur vorgegeben zu ſeyn. Die Faſten welche
Polybius bey den Pontifices ſah 23), muͤſſen allerdings
auch die Regierungsjahre der Koͤnige angegeben haben
weil er nach ihnen das Olympiadenjahr der Gruͤndung
Roms berechnete: aber Faſten mit einigen Anzeichnun-
gen ſind ſogar von der duͤrrſten Chronik noch weit ver-
ſchieden. Es mag nicht als entſcheidend dafuͤr, daß
Rom nichts annalenaͤhnliches aus dem koͤniglichen Zeit-
alter hatte, gelten, daß die erſte Meldung des Saͤcu-
larfeſts bey dem Jahr 298 geſchieht: man koͤnnte die-
ſen an ſich ſehr bedeutenden Beweis nicht ohne Schein
entkraͤften wenn man bemerkte, Cenſorinus fuͤhre die
Buͤcher der Aufſeher der Sibyllenweiſſagungen an, wel-
che erſt vom letzten Koͤnige eingeſetzt waͤren. Ich denke
doch, da er dieſe ſah wuͤrde er auch, waͤren ſie vor-

handen
23) Dionyſius I. c. 74. Hier lieſt der Text: ἐκὶ τȣ̑ ταϱὰ τοῖς
Ἀγχισεῦσι κειμένȣ πίνακος — τὴν πίςιν ἀπολαβεῖν. Je-
nes Wort giebt gar keinen Sinn: denn eine Stadt An-
chiſe exiſtirte nur im Traume des Kephalon, am wenigſten
in Polybius Zeitalter. Die Vaticaniſche Handſchrift giebt
ἀγχιςεῦσι: ich leſe ἀϱχιεϱεῦσι, welches Polybius fuͤr die
Pontifices braucht (XXIII. 1. 2. XXXII. 22. 5.), obgleich
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[176/0198] noch erhalten angefuͤhrt: ihr Inhalt aber iſt mit der Geſchichtserzaͤhlung theils gar nicht, theils ſchwer zu vereinigen. Annalen aus den Zeiten der Koͤnige, wie die pon- tificiſchen, welche allerdings ſchon in einer ſehr fruͤhen Epoche der Republik gleichzeitig heißen koͤnnen, ſcheinen nie auch nur vorgegeben zu ſeyn. Die Faſten welche Polybius bey den Pontifices ſah 23), muͤſſen allerdings auch die Regierungsjahre der Koͤnige angegeben haben weil er nach ihnen das Olympiadenjahr der Gruͤndung Roms berechnete: aber Faſten mit einigen Anzeichnun- gen ſind ſogar von der duͤrrſten Chronik noch weit ver- ſchieden. Es mag nicht als entſcheidend dafuͤr, daß Rom nichts annalenaͤhnliches aus dem koͤniglichen Zeit- alter hatte, gelten, daß die erſte Meldung des Saͤcu- larfeſts bey dem Jahr 298 geſchieht: man koͤnnte die- ſen an ſich ſehr bedeutenden Beweis nicht ohne Schein entkraͤften wenn man bemerkte, Cenſorinus fuͤhre die Buͤcher der Aufſeher der Sibyllenweiſſagungen an, wel- che erſt vom letzten Koͤnige eingeſetzt waͤren. Ich denke doch, da er dieſe ſah wuͤrde er auch, waͤren ſie vor- handen 23) Dionyſius I. c. 74. Hier lieſt der Text: ἐκὶ τȣ̑ ταϱὰ τοῖς Ἀγχισεῦσι κειμένȣ πίνακος — τὴν πίςιν ἀπολαβεῖν. Je- nes Wort giebt gar keinen Sinn: denn eine Stadt An- chiſe exiſtirte nur im Traume des Kephalon, am wenigſten in Polybius Zeitalter. Die Vaticaniſche Handſchrift giebt ἀγχιςεῦσι: ich leſe ἀϱχιεϱεῦσι, welches Polybius fuͤr die Pontifices braucht (XXIII. 1. 2. XXXII. 22. 5.), obgleich Dionyſius ſie ἱεϱομνήμονες nennt.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/198>, abgerufen am 19.05.2024.