Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

mert 15). Das Verhältniß dieser dichterischen Geschichte
zur Mythologie ist, daß jene allerdings und nothwendig
einen historischen Grund hat, und ihren Stoff größten-
theils aus der Geschichte, wie diese in freyer Erzählung
besteht, entlehnt: diese aber aus der Religion und den
Volksdichtungen, und sich nicht für mögliche Geschichte
der gewöhnlichen Weltordnung ausgiebt, ob sie gleich,
sofern sie auf der Erde verweilt, kein andres Theater ha-
ben kann. Der letzten gehören an, um Beyspiele zu nen-
nen, Herakles, Romulus und Siegfried; jener Aristo-
menes, Brutus und der Cid.

An der Gränze der Mythologie ist die Dichtung, an
der entgegengesetzten die Geschichte vorherrschend. Er-
dichtet sind von den Männern welche während dieses Zeit-
raums genannt werden, nur wenige: viele chronologische
Angaben aus den Fasten haben alle Bestimmtheit welche
bey dem Alter der Zeit denkbar ist: darauf aber allein be-
schränkt sich auch das Historische. Denn nur was sich
Geschichte nannte ward, als Schriftsteller entstanden, be-
achtet, Denkmähler und Urkunden hingegen blieben unbe-
nutzt: vielleicht aus Nachlässigkeit: vielleicht weil sie sich
mit den dichterischen Sagen nicht in Uebereinstimmung
bringen ließen, und man eine fragmentarische urkunden-
mäßige Geschichte der lebendigen dichterischen nachsetzte.
In Griechenland bildeten in späterer Zeit Ephorus, die

15) Noch später, um Alexanders Zeitalter, begann erst Lysi-
stratus Portraite für Statuen abzuformen, da man diese bis
dahin idealisch nach den Hauptzügen des Gesichts und der
Gestalt gearbeitet hatte.

mert 15). Das Verhaͤltniß dieſer dichteriſchen Geſchichte
zur Mythologie iſt, daß jene allerdings und nothwendig
einen hiſtoriſchen Grund hat, und ihren Stoff groͤßten-
theils aus der Geſchichte, wie dieſe in freyer Erzaͤhlung
beſteht, entlehnt: dieſe aber aus der Religion und den
Volksdichtungen, und ſich nicht fuͤr moͤgliche Geſchichte
der gewoͤhnlichen Weltordnung ausgiebt, ob ſie gleich,
ſofern ſie auf der Erde verweilt, kein andres Theater ha-
ben kann. Der letzten gehoͤren an, um Beyſpiele zu nen-
nen, Herakles, Romulus und Siegfried; jener Ariſto-
menes, Brutus und der Cid.

An der Graͤnze der Mythologie iſt die Dichtung, an
der entgegengeſetzten die Geſchichte vorherrſchend. Er-
dichtet ſind von den Maͤnnern welche waͤhrend dieſes Zeit-
raums genannt werden, nur wenige: viele chronologiſche
Angaben aus den Faſten haben alle Beſtimmtheit welche
bey dem Alter der Zeit denkbar iſt: darauf aber allein be-
ſchraͤnkt ſich auch das Hiſtoriſche. Denn nur was ſich
Geſchichte nannte ward, als Schriftſteller entſtanden, be-
achtet, Denkmaͤhler und Urkunden hingegen blieben unbe-
nutzt: vielleicht aus Nachlaͤſſigkeit: vielleicht weil ſie ſich
mit den dichteriſchen Sagen nicht in Uebereinſtimmung
bringen ließen, und man eine fragmentariſche urkunden-
maͤßige Geſchichte der lebendigen dichteriſchen nachſetzte.
In Griechenland bildeten in ſpaͤterer Zeit Ephorus, die

15) Noch ſpaͤter, um Alexanders Zeitalter, begann erſt Lyſi-
ſtratus Portraite fuͤr Statuen abzuformen, da man dieſe bis
dahin idealiſch nach den Hauptzuͤgen des Geſichts und der
Geſtalt gearbeitet hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="174"/>
mert <note place="foot" n="15)">Noch &#x017F;pa&#x0364;ter, um Alexanders Zeitalter, begann er&#x017F;t Ly&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;tratus Portraite fu&#x0364;r Statuen abzuformen, da man die&#x017F;e bis<lb/>
dahin ideali&#x017F;ch nach den Hauptzu&#x0364;gen des Ge&#x017F;ichts und der<lb/>
Ge&#x017F;talt gearbeitet hatte.</note>. Das Verha&#x0364;ltniß die&#x017F;er dichteri&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte<lb/>
zur Mythologie i&#x017F;t, daß jene allerdings und nothwendig<lb/>
einen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Grund hat, und ihren Stoff gro&#x0364;ßten-<lb/>
theils aus der Ge&#x017F;chichte, wie die&#x017F;e in freyer Erza&#x0364;hlung<lb/>
be&#x017F;teht, entlehnt: die&#x017F;e aber aus der Religion und den<lb/>
Volksdichtungen, und &#x017F;ich nicht fu&#x0364;r mo&#x0364;gliche Ge&#x017F;chichte<lb/>
der gewo&#x0364;hnlichen Weltordnung ausgiebt, ob &#x017F;ie gleich,<lb/>
&#x017F;ofern &#x017F;ie auf der Erde verweilt, kein andres Theater ha-<lb/>
ben kann. Der letzten geho&#x0364;ren an, um Bey&#x017F;piele zu nen-<lb/>
nen, Herakles, Romulus und Siegfried; jener Ari&#x017F;to-<lb/>
menes, Brutus und der Cid.</p><lb/>
          <p>An der Gra&#x0364;nze der Mythologie i&#x017F;t die Dichtung, an<lb/>
der entgegenge&#x017F;etzten die Ge&#x017F;chichte vorherr&#x017F;chend. Er-<lb/>
dichtet &#x017F;ind von den Ma&#x0364;nnern welche wa&#x0364;hrend die&#x017F;es Zeit-<lb/>
raums genannt werden, nur wenige: viele chronologi&#x017F;che<lb/>
Angaben aus den Fa&#x017F;ten haben alle Be&#x017F;timmtheit welche<lb/>
bey dem Alter der Zeit denkbar i&#x017F;t: darauf aber allein be-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ich auch das Hi&#x017F;tori&#x017F;che. Denn nur was &#x017F;ich<lb/>
Ge&#x017F;chichte nannte ward, als Schrift&#x017F;teller ent&#x017F;tanden, be-<lb/>
achtet, Denkma&#x0364;hler und Urkunden hingegen blieben unbe-<lb/>
nutzt: vielleicht aus Nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit: vielleicht weil &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
mit den dichteri&#x017F;chen Sagen nicht in Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
bringen ließen, und man eine fragmentari&#x017F;che urkunden-<lb/>
ma&#x0364;ßige Ge&#x017F;chichte der lebendigen dichteri&#x017F;chen nach&#x017F;etzte.<lb/>
In Griechenland bildeten in &#x017F;pa&#x0364;terer Zeit Ephorus, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0196] mert 15). Das Verhaͤltniß dieſer dichteriſchen Geſchichte zur Mythologie iſt, daß jene allerdings und nothwendig einen hiſtoriſchen Grund hat, und ihren Stoff groͤßten- theils aus der Geſchichte, wie dieſe in freyer Erzaͤhlung beſteht, entlehnt: dieſe aber aus der Religion und den Volksdichtungen, und ſich nicht fuͤr moͤgliche Geſchichte der gewoͤhnlichen Weltordnung ausgiebt, ob ſie gleich, ſofern ſie auf der Erde verweilt, kein andres Theater ha- ben kann. Der letzten gehoͤren an, um Beyſpiele zu nen- nen, Herakles, Romulus und Siegfried; jener Ariſto- menes, Brutus und der Cid. An der Graͤnze der Mythologie iſt die Dichtung, an der entgegengeſetzten die Geſchichte vorherrſchend. Er- dichtet ſind von den Maͤnnern welche waͤhrend dieſes Zeit- raums genannt werden, nur wenige: viele chronologiſche Angaben aus den Faſten haben alle Beſtimmtheit welche bey dem Alter der Zeit denkbar iſt: darauf aber allein be- ſchraͤnkt ſich auch das Hiſtoriſche. Denn nur was ſich Geſchichte nannte ward, als Schriftſteller entſtanden, be- achtet, Denkmaͤhler und Urkunden hingegen blieben unbe- nutzt: vielleicht aus Nachlaͤſſigkeit: vielleicht weil ſie ſich mit den dichteriſchen Sagen nicht in Uebereinſtimmung bringen ließen, und man eine fragmentariſche urkunden- maͤßige Geſchichte der lebendigen dichteriſchen nachſetzte. In Griechenland bildeten in ſpaͤterer Zeit Ephorus, die 15) Noch ſpaͤter, um Alexanders Zeitalter, begann erſt Lyſi- ſtratus Portraite fuͤr Statuen abzuformen, da man dieſe bis dahin idealiſch nach den Hauptzuͤgen des Geſichts und der Geſtalt gearbeitet hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/196
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/196>, abgerufen am 17.05.2024.