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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Mit Tullus Hostilius hebt nun ein neues Säculum
an, und eine Erzählung mit historischem Grunde, ganz
verschiedener Art von der des vorhergehenden. Zwischen
der völlig dichterischen Zeit, welche mit der Geschichte in
einem schlechterdings irrationalen Verhältnisse steht, und
dem ächthistorischen Zeitalter, steht bey allen Völkern ein
gemischtes, wenn man seine Beschaffenheit mit einem
Nahmen bezeichnen will, mythischhistorisches in der Mitte.
Dieses hat keine bestimmte Gränzen, es erstreckt sich aber bis
dahin wo gleichzeitige Geschichte anfängt, und um so ent-
schiedener, je reicher die alten Sagen gewesen sind; je we-
niger Spätere die Leere der alten Geschichte aus Denkmäh-
lern und Urkunden mit Vernachläßigung der historischen
Lieder trocken ergänzt haben. Daher findet es sich in der
mittlern Geschichte im Norden und in Spanien, da hingegen
die vieler Völker des übrigen Europa während derselben
Zeit kaum eine Spur davon enthält. Bey den Griechen
hat noch der Perserkrieg den Charakter freyer epischer
Dichtung, und in noch früheren Zeiten ist fast alles leben-
dige und anziehende dieser Geschichte Poesie. In der rö-
mischen Geschichte geht die eigentliche Dichtung nicht viel
tiefer hinab: obgleich diese von Zeit zu Zeit, und bis an
das Ende des vierten Jahrhunderts wieder erscheint: sie
krankt, bis zum Kriege des Pyrrhus, als wenigstens
Fremde begannen sie gleichzeitig zu schreiben, an geflis-
sentlicher Verfälschung. Diese ist reines Verderben:
die dichterische Erzählung etwas anderes aber auch
besseres als reine Geschichte, auf deren Boden wir nur
wiederfinden was uns im Leben ermüdet und beküm-

Mit Tullus Hoſtilius hebt nun ein neues Saͤculum
an, und eine Erzaͤhlung mit hiſtoriſchem Grunde, ganz
verſchiedener Art von der des vorhergehenden. Zwiſchen
der voͤllig dichteriſchen Zeit, welche mit der Geſchichte in
einem ſchlechterdings irrationalen Verhaͤltniſſe ſteht, und
dem aͤchthiſtoriſchen Zeitalter, ſteht bey allen Voͤlkern ein
gemiſchtes, wenn man ſeine Beſchaffenheit mit einem
Nahmen bezeichnen will, mythiſchhiſtoriſches in der Mitte.
Dieſes hat keine beſtimmte Graͤnzen, es erſtreckt ſich aber bis
dahin wo gleichzeitige Geſchichte anfaͤngt, und um ſo ent-
ſchiedener, je reicher die alten Sagen geweſen ſind; je we-
niger Spaͤtere die Leere der alten Geſchichte aus Denkmaͤh-
lern und Urkunden mit Vernachlaͤßigung der hiſtoriſchen
Lieder trocken ergaͤnzt haben. Daher findet es ſich in der
mittlern Geſchichte im Norden und in Spanien, da hingegen
die vieler Voͤlker des uͤbrigen Europa waͤhrend derſelben
Zeit kaum eine Spur davon enthaͤlt. Bey den Griechen
hat noch der Perſerkrieg den Charakter freyer epiſcher
Dichtung, und in noch fruͤheren Zeiten iſt faſt alles leben-
dige und anziehende dieſer Geſchichte Poeſie. In der roͤ-
miſchen Geſchichte geht die eigentliche Dichtung nicht viel
tiefer hinab: obgleich dieſe von Zeit zu Zeit, und bis an
das Ende des vierten Jahrhunderts wieder erſcheint: ſie
krankt, bis zum Kriege des Pyrrhus, als wenigſtens
Fremde begannen ſie gleichzeitig zu ſchreiben, an gefliſ-
ſentlicher Verfaͤlſchung. Dieſe iſt reines Verderben:
die dichteriſche Erzaͤhlung etwas anderes aber auch
beſſeres als reine Geſchichte, auf deren Boden wir nur
wiederfinden was uns im Leben ermuͤdet und bekuͤm-

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[173/0195] Mit Tullus Hoſtilius hebt nun ein neues Saͤculum an, und eine Erzaͤhlung mit hiſtoriſchem Grunde, ganz verſchiedener Art von der des vorhergehenden. Zwiſchen der voͤllig dichteriſchen Zeit, welche mit der Geſchichte in einem ſchlechterdings irrationalen Verhaͤltniſſe ſteht, und dem aͤchthiſtoriſchen Zeitalter, ſteht bey allen Voͤlkern ein gemiſchtes, wenn man ſeine Beſchaffenheit mit einem Nahmen bezeichnen will, mythiſchhiſtoriſches in der Mitte. Dieſes hat keine beſtimmte Graͤnzen, es erſtreckt ſich aber bis dahin wo gleichzeitige Geſchichte anfaͤngt, und um ſo ent- ſchiedener, je reicher die alten Sagen geweſen ſind; je we- niger Spaͤtere die Leere der alten Geſchichte aus Denkmaͤh- lern und Urkunden mit Vernachlaͤßigung der hiſtoriſchen Lieder trocken ergaͤnzt haben. Daher findet es ſich in der mittlern Geſchichte im Norden und in Spanien, da hingegen die vieler Voͤlker des uͤbrigen Europa waͤhrend derſelben Zeit kaum eine Spur davon enthaͤlt. Bey den Griechen hat noch der Perſerkrieg den Charakter freyer epiſcher Dichtung, und in noch fruͤheren Zeiten iſt faſt alles leben- dige und anziehende dieſer Geſchichte Poeſie. In der roͤ- miſchen Geſchichte geht die eigentliche Dichtung nicht viel tiefer hinab: obgleich dieſe von Zeit zu Zeit, und bis an das Ende des vierten Jahrhunderts wieder erſcheint: ſie krankt, bis zum Kriege des Pyrrhus, als wenigſtens Fremde begannen ſie gleichzeitig zu ſchreiben, an gefliſ- ſentlicher Verfaͤlſchung. Dieſe iſt reines Verderben: die dichteriſche Erzaͤhlung etwas anderes aber auch beſſeres als reine Geſchichte, auf deren Boden wir nur wiederfinden was uns im Leben ermuͤdet und bekuͤm-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/195>, abgerufen am 22.11.2024.