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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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und tröstete sie mit Verheissungen edler Kinder wie Posei-
don Tyro die Tochter Salmoneus. Aber er beschirmte
sie nicht gegen den Tyrannen, auch retteten Ilia die Be-
theurungen ihrer Schuldlosigkeit nicht: Amulius verur-
theilte sie zum Tode oder zum ewigen Gefängniß: ihre
Zwillingsknaben befahl er im Strohm der Tiber zu ersäu-
fen. Roms Hügel waren Klippen und Wald; die Thäler
welche sie trennen, sumpfige Wiesen oder Lachen. Der
Strohm stand weit und breit ausgetreten, seine Ufer wa-
ren unzugänglich: Amulius Knecht setzte die Mulde wor-
in er die Knaben trug auf das nächste seichte Wasser; sie
schwamm fort bis an die Wurzel eines wilden Feigen-
baums, des Ficus ruminalis, der viele Jahrhunderte
lang mitten in der Stadt erhalten und heilig blieb; dort
stürzte sie um. Eine durstige Wölfin ward durch das Ge-
wimmer der Kinder herbeygerufen, die hülflos im Sumpf
lagen, leckte sie, und säugte sie: ein Specht, Mars heili-
ger Vogel, fütterte sie. Dies wunderbare Schauspiel sah
Faustulus, Hirt der königlichen Heerden, und erbarmte
sich; die Wölfin wich langsam und überließ die Kinder
sanfterer Pflege. Acca Larentia sein Weib ward ihre
Amme. Sie wurden bey ihm groß, lebten im Dorf der
Hirten auf dem Palatinischen Berge in Strohhütten die
sie selbst erbaut: die des Romulus ward bis auf Neros
Zeit immer ergänzt erhalten, als ein Heiligthum: sie wa-
ren die rüstigsten der Hirtenknaben, tapfer gegen Raub-
thiere und gegen Räuber, ihr Recht gegen jeden mit ihrer
Stärke handhabend, auch die Stärke zum Recht verwan-
delnd. Was sie erbeuteten, theilten sie mit ihren Gesel-

und troͤſtete ſie mit Verheiſſungen edler Kinder wie Poſei-
don Tyro die Tochter Salmoneus. Aber er beſchirmte
ſie nicht gegen den Tyrannen, auch retteten Ilia die Be-
theurungen ihrer Schuldloſigkeit nicht: Amulius verur-
theilte ſie zum Tode oder zum ewigen Gefaͤngniß: ihre
Zwillingsknaben befahl er im Strohm der Tiber zu erſaͤu-
fen. Roms Huͤgel waren Klippen und Wald; die Thaͤler
welche ſie trennen, ſumpfige Wieſen oder Lachen. Der
Strohm ſtand weit und breit ausgetreten, ſeine Ufer wa-
ren unzugaͤnglich: Amulius Knecht ſetzte die Mulde wor-
in er die Knaben trug auf das naͤchſte ſeichte Waſſer; ſie
ſchwamm fort bis an die Wurzel eines wilden Feigen-
baums, des Ficus ruminalis, der viele Jahrhunderte
lang mitten in der Stadt erhalten und heilig blieb; dort
ſtuͤrzte ſie um. Eine durſtige Woͤlfin ward durch das Ge-
wimmer der Kinder herbeygerufen, die huͤlflos im Sumpf
lagen, leckte ſie, und ſaͤugte ſie: ein Specht, Mars heili-
ger Vogel, fuͤtterte ſie. Dies wunderbare Schauſpiel ſah
Fauſtulus, Hirt der koͤniglichen Heerden, und erbarmte
ſich; die Woͤlfin wich langſam und uͤberließ die Kinder
ſanfterer Pflege. Acca Larentia ſein Weib ward ihre
Amme. Sie wurden bey ihm groß, lebten im Dorf der
Hirten auf dem Palatiniſchen Berge in Strohhuͤtten die
ſie ſelbſt erbaut: die des Romulus ward bis auf Neros
Zeit immer ergaͤnzt erhalten, als ein Heiligthum: ſie wa-
ren die ruͤſtigſten der Hirtenknaben, tapfer gegen Raub-
thiere und gegen Raͤuber, ihr Recht gegen jeden mit ihrer
Staͤrke handhabend, auch die Staͤrke zum Recht verwan-
delnd. Was ſie erbeuteten, theilten ſie mit ihren Geſel-

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[151/0173] und troͤſtete ſie mit Verheiſſungen edler Kinder wie Poſei- don Tyro die Tochter Salmoneus. Aber er beſchirmte ſie nicht gegen den Tyrannen, auch retteten Ilia die Be- theurungen ihrer Schuldloſigkeit nicht: Amulius verur- theilte ſie zum Tode oder zum ewigen Gefaͤngniß: ihre Zwillingsknaben befahl er im Strohm der Tiber zu erſaͤu- fen. Roms Huͤgel waren Klippen und Wald; die Thaͤler welche ſie trennen, ſumpfige Wieſen oder Lachen. Der Strohm ſtand weit und breit ausgetreten, ſeine Ufer wa- ren unzugaͤnglich: Amulius Knecht ſetzte die Mulde wor- in er die Knaben trug auf das naͤchſte ſeichte Waſſer; ſie ſchwamm fort bis an die Wurzel eines wilden Feigen- baums, des Ficus ruminalis, der viele Jahrhunderte lang mitten in der Stadt erhalten und heilig blieb; dort ſtuͤrzte ſie um. Eine durſtige Woͤlfin ward durch das Ge- wimmer der Kinder herbeygerufen, die huͤlflos im Sumpf lagen, leckte ſie, und ſaͤugte ſie: ein Specht, Mars heili- ger Vogel, fuͤtterte ſie. Dies wunderbare Schauſpiel ſah Fauſtulus, Hirt der koͤniglichen Heerden, und erbarmte ſich; die Woͤlfin wich langſam und uͤberließ die Kinder ſanfterer Pflege. Acca Larentia ſein Weib ward ihre Amme. Sie wurden bey ihm groß, lebten im Dorf der Hirten auf dem Palatiniſchen Berge in Strohhuͤtten die ſie ſelbſt erbaut: die des Romulus ward bis auf Neros Zeit immer ergaͤnzt erhalten, als ein Heiligthum: ſie wa- ren die ruͤſtigſten der Hirtenknaben, tapfer gegen Raub- thiere und gegen Raͤuber, ihr Recht gegen jeden mit ihrer Staͤrke handhabend, auch die Staͤrke zum Recht verwan- delnd. Was ſie erbeuteten, theilten ſie mit ihren Geſel-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/173>, abgerufen am 22.11.2024.