Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.zum Besten der Wahrheit und Tugend anwendete. Er hatte schon verschiedene schätzbare Werke auf seine Kosten drucken lassen, besonders hatte er eben ein gelehrtes Tagebuch angefangen, das zur Absicht hatte, den Weg zu bahnen, daß gemeinnützige Religions- begriffe von leeren Schulspitzfindigkeiten gesondert würden. Er schrieb es in lateinischer Sprache, weil damals, in Holland, die Vorurtheile für eine herge- brachte Orthodoxie noch so stark waren, daß sich nie- mand, so wie jetzt *), getrauete, Meinungen, die nicht im Kompendium stehen, in der Landessprache vorzutragen. Denn die Gottesgelehrten in allen Ländern lassen meistens noch eher geschehen, daß man neue Meinungen und Zweisel, in der gelehrten Sprache, für sie allein vortrage, damit sie ihre Streit- kunst aufs stattlichste daran üben können, als in der Muttersprache, damit gemeinnützige Wahr- heiten sich in die Gemüther aller Einwohner eines Landes verbreiten mögen. Sebaldus, der die Arbeit liebte, erbot sich in kur- ner *) Jn den Vaderlandsen Letter-Oeffeningen, einem gekehrtem Tagebuche, dessen vornebinste Verfasser Kollegianten sind. D 4
zum Beſten der Wahrheit und Tugend anwendete. Er hatte ſchon verſchiedene ſchaͤtzbare Werke auf ſeine Koſten drucken laſſen, beſonders hatte er eben ein gelehrtes Tagebuch angefangen, das zur Abſicht hatte, den Weg zu bahnen, daß gemeinnuͤtzige Religions- begriffe von leeren Schulſpitzfindigkeiten geſondert wuͤrden. Er ſchrieb es in lateiniſcher Sprache, weil damals, in Holland, die Vorurtheile fuͤr eine herge- brachte Orthodoxie noch ſo ſtark waren, daß ſich nie- mand, ſo wie jetzt *), getrauete, Meinungen, die nicht im Kompendium ſtehen, in der Landesſprache vorzutragen. Denn die Gottesgelehrten in allen Laͤndern laſſen meiſtens noch eher geſchehen, daß man neue Meinungen und Zweiſel, in der gelehrten Sprache, fuͤr ſie allein vortrage, damit ſie ihre Streit- kunſt aufs ſtattlichſte daran uͤben koͤnnen, als in der Mutterſprache, damit gemeinnuͤtzige Wahr- heiten ſich in die Gemuͤther aller Einwohner eines Landes verbreiten moͤgen. Sebaldus, der die Arbeit liebte, erbot ſich in kur- ner *) Jn den Vaderlandſen Letter-Oeffeningen, einem gekehrtem Tagebuche, deſſen vornebinſte Verfaſſer Kollegianten ſind. D 4
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zum Beſten der Wahrheit und Tugend anwendete.
Er hatte ſchon verſchiedene ſchaͤtzbare Werke auf ſeine
Koſten drucken laſſen, beſonders hatte er eben ein
gelehrtes Tagebuch angefangen, das zur Abſicht hatte,
den Weg zu bahnen, daß gemeinnuͤtzige Religions-
begriffe von leeren Schulſpitzfindigkeiten geſondert
wuͤrden. Er ſchrieb es in lateiniſcher Sprache, weil
damals, in Holland, die Vorurtheile fuͤr eine herge-
brachte Orthodoxie noch ſo ſtark waren, daß ſich nie-
mand, ſo wie jetzt *), getrauete, Meinungen, die
nicht im Kompendium ſtehen, in der Landesſprache
vorzutragen. Denn die Gottesgelehrten in allen
Laͤndern laſſen meiſtens noch eher geſchehen, daß
man neue Meinungen und Zweiſel, in der gelehrten
Sprache, fuͤr ſie allein vortrage, damit ſie ihre Streit-
kunſt aufs ſtattlichſte daran uͤben koͤnnen, als
in der Mutterſprache, damit gemeinnuͤtzige Wahr-
heiten ſich in die Gemuͤther aller Einwohner eines
Landes verbreiten moͤgen.
Sebaldus, der die Arbeit liebte, erbot ſich in kur-
zem ſelbſt, ſeinem Wirthe in deſſen Beſchaͤftigun-
gen behuͤlflich zu ſeyn. Er that dadurch zugleich ſei-
ner
*) Jn den Vaderlandſen Letter-Oeffeningen, einem gekehrtem
Tagebuche, deſſen vornebinſte Verfaſſer Kollegianten ſind.
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