Sebaldus fand ihn in einem prächtig aufgeputzten und mit Huysums und Mignons Meisterstücken ausgeziertem Seitenzimmer sitzen, das von dem Elende, womit im Keller Menschen gequält wur- den, so wenig Spur zeigte, als das Angesicht des hartherzigen Besitzers. Dieser nahm mit zufriedner Geberde sein Frühstück zu sich, und vor ihm lagen Erbauungsbücher, aus denen er eben seine Morgen- andacht hergelesen hatte. Denn Bücher dieser Art, sind dem Schurken und dem schwachen ehrlichen Man- ne gleich behaglich. Dieser zieht Trost im Unglücke, und Bevestigung frommer Entschließungen aus ih- nen, jener aber, der tägliche Gottlosigkeit unstraf- bar gemacht zu haben glaubt, wenn er sie Morgens und Abends in vorgeschriebenen Gebeten bereuet, der den Mangel innrer Rechtschaffenheit durch äussere Re- ligion ersetzen will, sucht die Unruhe seines Gewis- sens, in der Ruhe einer selbstgefälligen Andacht zu ersticken.
Dieser Bube, der mit kalter Fühllosigkeit jeden Menschen im Elende konnte schmachten sehen, ließ es dabey an keiner äusserlichen Religionsübung man- geln. Er war in der gangbaren Landestheo- logie sehr bewandert, und fand sogar durch dieselbe eine Hinterthür, alles Böse, was ihn zu thun ge-
lüstete,
Sebaldus fand ihn in einem praͤchtig aufgeputzten und mit Huyſums und Mignons Meiſterſtuͤcken ausgeziertem Seitenzimmer ſitzen, das von dem Elende, womit im Keller Menſchen gequaͤlt wur- den, ſo wenig Spur zeigte, als das Angeſicht des hartherzigen Beſitzers. Dieſer nahm mit zufriedner Geberde ſein Fruͤhſtuͤck zu ſich, und vor ihm lagen Erbauungsbuͤcher, aus denen er eben ſeine Morgen- andacht hergeleſen hatte. Denn Buͤcher dieſer Art, ſind dem Schurken und dem ſchwachen ehrlichen Man- ne gleich behaglich. Dieſer zieht Troſt im Ungluͤcke, und Beveſtigung frommer Entſchließungen aus ih- nen, jener aber, der taͤgliche Gottloſigkeit unſtraf- bar gemacht zu haben glaubt, wenn er ſie Morgens und Abends in vorgeſchriebenen Gebeten bereuet, der den Mangel innrer Rechtſchaffenheit durch aͤuſſere Re- ligion erſetzen will, ſucht die Unruhe ſeines Gewiſ- ſens, in der Ruhe einer ſelbſtgefaͤlligen Andacht zu erſticken.
Dieſer Bube, der mit kalter Fuͤhlloſigkeit jeden Menſchen im Elende konnte ſchmachten ſehen, ließ es dabey an keiner aͤuſſerlichen Religionsuͤbung man- geln. Er war in der gangbaren Landestheo- logie ſehr bewandert, und fand ſogar durch dieſelbe eine Hinterthuͤr, alles Boͤſe, was ihn zu thun ge-
luͤſtete,
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[40[39]/0048]
Sebaldus fand ihn in einem praͤchtig aufgeputzten
und mit Huyſums und Mignons Meiſterſtuͤcken
ausgeziertem Seitenzimmer ſitzen, das von dem
Elende, womit im Keller Menſchen gequaͤlt wur-
den, ſo wenig Spur zeigte, als das Angeſicht des
hartherzigen Beſitzers. Dieſer nahm mit zufriedner
Geberde ſein Fruͤhſtuͤck zu ſich, und vor ihm lagen
Erbauungsbuͤcher, aus denen er eben ſeine Morgen-
andacht hergeleſen hatte. Denn Buͤcher dieſer Art,
ſind dem Schurken und dem ſchwachen ehrlichen Man-
ne gleich behaglich. Dieſer zieht Troſt im Ungluͤcke,
und Beveſtigung frommer Entſchließungen aus ih-
nen, jener aber, der taͤgliche Gottloſigkeit unſtraf-
bar gemacht zu haben glaubt, wenn er ſie Morgens
und Abends in vorgeſchriebenen Gebeten bereuet, der
den Mangel innrer Rechtſchaffenheit durch aͤuſſere Re-
ligion erſetzen will, ſucht die Unruhe ſeines Gewiſ-
ſens, in der Ruhe einer ſelbſtgefaͤlligen Andacht zu
erſticken.
Dieſer Bube, der mit kalter Fuͤhlloſigkeit jeden
Menſchen im Elende konnte ſchmachten ſehen, ließ
es dabey an keiner aͤuſſerlichen Religionsuͤbung man-
geln. Er war in der gangbaren Landestheo-
logie ſehr bewandert, und fand ſogar durch dieſelbe
eine Hinterthuͤr, alles Boͤſe, was ihn zu thun ge-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 40[39]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/48>, abgerufen am 27.07.2024.
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