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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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"gen, ihn zu bessern, ihm in meinen väterlichen Ar-
"men zu vergeben! Du hast Unrecht, Freund. Dein
"Sohn wird von seinen Wanderungen zurückkehren,
"deine Tochter wird den Jrrweg verlassen, ins väter-
"liche Haus, zur Tugend, zurückkehren wollen, --
"und das väterliche Haus ist leer! Jhr Vater ist von
"ihnen geflohen! -- Ach, Freund! Sie sind un-
"glücklicher, als du!

,Für mich ist kein Haus mehr da!' -- Er sahe
den Prediger mit starrer Verzweiflung an. -- ,Nicht
"einmahl ein Obdach in diesem ganzen Welttheile!'
Sein Haupt senkte sich, und er legte seine gefalteten
Hände auf seine Knie. --

,Und wer hat es dir genommen?' sagte der Pre-
diger mit einem Tone voll holländischer Kälte, die
Sebaldus für Gleichgültigkeit nahm.

,Priester haben mich verfolgt' versetzte Sebaldus,
auffahrend, -- ,weil ich Wahrheit bekannte.' --
Er stand hitzig auf. -- ,Haben mich von Lande zu
"Lande gejagt, wollen mich nicht einen Bissen Brod
"essen lassen.'

,Und Freund! du bist gewürdigt worden, um der
"Wahrheit willen zu leiden, und nennest dich un-
"glücklich? Weist du nicht, welcher Lohn deiner dort
"wartet? -- Wer waren die Feinde die dich verfolg-

"ten?
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„gen, ihn zu beſſern, ihm in meinen vaͤterlichen Ar-
„men zu vergeben! Du haſt Unrecht, Freund. Dein
„Sohn wird von ſeinen Wanderungen zuruͤckkehren,
„deine Tochter wird den Jrrweg verlaſſen, ins vaͤter-
„liche Haus, zur Tugend, zuruͤckkehren wollen, —
„und das vaͤterliche Haus iſt leer! Jhr Vater iſt von
„ihnen geflohen! — Ach, Freund! Sie ſind un-
„gluͤcklicher, als du!

‚Fuͤr mich iſt kein Haus mehr da!‛ — Er ſahe
den Prediger mit ſtarrer Verzweiflung an. — ‚Nicht
„einmahl ein Obdach in dieſem ganzen Welttheile!‛
Sein Haupt ſenkte ſich, und er legte ſeine gefalteten
Haͤnde auf ſeine Knie. —

‚Und wer hat es dir genommen?‛ ſagte der Pre-
diger mit einem Tone voll hollaͤndiſcher Kaͤlte, die
Sebaldus fuͤr Gleichguͤltigkeit nahm.

‚Prieſter haben mich verfolgt‛ verſetzte Sebaldus,
auffahrend, — ‚weil ich Wahrheit bekannte.‛ —
Er ſtand hitzig auf. — ‚Haben mich von Lande zu
„Lande gejagt, wollen mich nicht einen Biſſen Brod
„eſſen laſſen.‛

‚Und Freund! du biſt gewuͤrdigt worden, um der
„Wahrheit willen zu leiden, und nenneſt dich un-
„gluͤcklich? Weiſt du nicht, welcher Lohn deiner dort
„wartet? — Wer waren die Feinde die dich verfolg-

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[9[8]/0015] „gen, ihn zu beſſern, ihm in meinen vaͤterlichen Ar- „men zu vergeben! Du haſt Unrecht, Freund. Dein „Sohn wird von ſeinen Wanderungen zuruͤckkehren, „deine Tochter wird den Jrrweg verlaſſen, ins vaͤter- „liche Haus, zur Tugend, zuruͤckkehren wollen, — „und das vaͤterliche Haus iſt leer! Jhr Vater iſt von „ihnen geflohen! — Ach, Freund! Sie ſind un- „gluͤcklicher, als du! ‚Fuͤr mich iſt kein Haus mehr da!‛ — Er ſahe den Prediger mit ſtarrer Verzweiflung an. — ‚Nicht „einmahl ein Obdach in dieſem ganzen Welttheile!‛ Sein Haupt ſenkte ſich, und er legte ſeine gefalteten Haͤnde auf ſeine Knie. — ‚Und wer hat es dir genommen?‛ ſagte der Pre- diger mit einem Tone voll hollaͤndiſcher Kaͤlte, die Sebaldus fuͤr Gleichguͤltigkeit nahm. ‚Prieſter haben mich verfolgt‛ verſetzte Sebaldus, auffahrend, — ‚weil ich Wahrheit bekannte.‛ — Er ſtand hitzig auf. — ‚Haben mich von Lande zu „Lande gejagt, wollen mich nicht einen Biſſen Brod „eſſen laſſen.‛ ‚Und Freund! du biſt gewuͤrdigt worden, um der „Wahrheit willen zu leiden, und nenneſt dich un- „gluͤcklich? Weiſt du nicht, welcher Lohn deiner dort „wartet? — Wer waren die Feinde die dich verfolg- „ten? A 5

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 9[8]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/15>, abgerufen am 21.11.2024.