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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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als ein unglückliches Frauenzimmer zu schreiben, das
sich, weil sie von jedermann verlaßen ist, an einen
edelmüthigen Jüngling wenden muß. Dennoch hatte
sie die Spuren ihrer Leidenschaft nicht ganz auslö-
schen können, denn die Liebe, wie ein süsser Geruch,
duftet unvermerkt um sich. Säugling, dessen Em-
pfindungen den ihrigen so sehr entsprachen, würde
auch gewiß mit unnennbarer Wollust gefühlet haben,
was in ihrer Seele war, wenn er so glücklich gewe-
sen wäre, diesen Brief zu erhalten. Der Brief ward
vom Postamte zu Wesel, nach seines Vaters Gute,
gesendet, und war eben derselbe, den Rambold erst
aus Schäkerey beysteckte, nachher aus Zerstreuung
las, und da er daraus Marianens Aufenthalt er-
sahe, nicht einen Augenblick säumen wollte, zu ihr
zu eilen, denn der Ort ihres Aufenthalts war in
der That nicht eine Meile entlegen.

Rambold that, als ob ihn ein ungefährer Zufall
dahin geführt hätte, und hütete sich wohl, von dem
gelesenen Briefe etwas zu erwähnen. Mariane ver-
wunderte und freuete sich, ihn zu sehen, weil sie von ihm,
Nachricht von ihrem Säugling zu empfangen hoffte.
Aber er schwieg, und da sie endlich mit einigen Um-
schweifen nach demselben fragte, nahm er eine betrübte
Mine an, und versicherte sie, weil ihm eben nichts an-

ders



als ein ungluͤckliches Frauenzimmer zu ſchreiben, das
ſich, weil ſie von jedermann verlaßen iſt, an einen
edelmuͤthigen Juͤngling wenden muß. Dennoch hatte
ſie die Spuren ihrer Leidenſchaft nicht ganz ausloͤ-
ſchen koͤnnen, denn die Liebe, wie ein ſuͤſſer Geruch,
duftet unvermerkt um ſich. Saͤugling, deſſen Em-
pfindungen den ihrigen ſo ſehr entſprachen, wuͤrde
auch gewiß mit unnennbarer Wolluſt gefuͤhlet haben,
was in ihrer Seele war, wenn er ſo gluͤcklich gewe-
ſen waͤre, dieſen Brief zu erhalten. Der Brief ward
vom Poſtamte zu Weſel, nach ſeines Vaters Gute,
geſendet, und war eben derſelbe, den Rambold erſt
aus Schaͤkerey beyſteckte, nachher aus Zerſtreuung
las, und da er daraus Marianens Aufenthalt er-
ſahe, nicht einen Augenblick ſaͤumen wollte, zu ihr
zu eilen, denn der Ort ihres Aufenthalts war in
der That nicht eine Meile entlegen.

Rambold that, als ob ihn ein ungefaͤhrer Zufall
dahin gefuͤhrt haͤtte, und huͤtete ſich wohl, von dem
geleſenen Briefe etwas zu erwaͤhnen. Mariane ver-
wunderte und freuete ſich, ihn zu ſehen, weil ſie von ihm,
Nachricht von ihrem Saͤugling zu empfangen hoffte.
Aber er ſchwieg, und da ſie endlich mit einigen Um-
ſchweifen nach demſelben fragte, nahm er eine betruͤbte
Mine an, und verſicherte ſie, weil ihm eben nichts an-

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[110[109]/0120] als ein ungluͤckliches Frauenzimmer zu ſchreiben, das ſich, weil ſie von jedermann verlaßen iſt, an einen edelmuͤthigen Juͤngling wenden muß. Dennoch hatte ſie die Spuren ihrer Leidenſchaft nicht ganz ausloͤ- ſchen koͤnnen, denn die Liebe, wie ein ſuͤſſer Geruch, duftet unvermerkt um ſich. Saͤugling, deſſen Em- pfindungen den ihrigen ſo ſehr entſprachen, wuͤrde auch gewiß mit unnennbarer Wolluſt gefuͤhlet haben, was in ihrer Seele war, wenn er ſo gluͤcklich gewe- ſen waͤre, dieſen Brief zu erhalten. Der Brief ward vom Poſtamte zu Weſel, nach ſeines Vaters Gute, geſendet, und war eben derſelbe, den Rambold erſt aus Schaͤkerey beyſteckte, nachher aus Zerſtreuung las, und da er daraus Marianens Aufenthalt er- ſahe, nicht einen Augenblick ſaͤumen wollte, zu ihr zu eilen, denn der Ort ihres Aufenthalts war in der That nicht eine Meile entlegen. Rambold that, als ob ihn ein ungefaͤhrer Zufall dahin gefuͤhrt haͤtte, und huͤtete ſich wohl, von dem geleſenen Briefe etwas zu erwaͤhnen. Mariane ver- wunderte und freuete ſich, ihn zu ſehen, weil ſie von ihm, Nachricht von ihrem Saͤugling zu empfangen hoffte. Aber er ſchwieg, und da ſie endlich mit einigen Um- ſchweifen nach demſelben fragte, nahm er eine betruͤbte Mine an, und verſicherte ſie, weil ihm eben nichts an- ders

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 110[109]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/120>, abgerufen am 21.11.2024.