Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Herbst die Blätter streifte, und der Nordwind mit
ungestümem Brausen, jeden Schritt außer dem Hause
verwehrte, sank Philemon in ihrer Jdee wirklich zu
einem gemeinen Bauer herab, und Baucis zu einer
westphälischen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr
in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, schel-
ten und schmollen konnte. Der Tempel ward wieder
eine enge und unbequeme Hütte, in welcher die harte
Kost, so sehr sie der Einfalt unschuldiger Hirtenvöl-
ker gemäß war, doch nicht schmecken wollte. Ja,
Mariane hat nachher ganz natürlich gestanden, daß
sie ihrer phantasiereichen Vorstellungen ungeachtet,
dennoch zuweilen, bey einem patriarchalischen Milch-
brey in einer hölzernen Satte, nach einem wohlfil-
trirten Kaffee in meisnischer Schaale, lüstern ge-
wesen sey.

Jn den ersten Tagen dieser ländlichen Einsamkeit,
hatte sie sich, in liebliche Jdeen von arkadischer Un-
schuld versenkt, bereden wollen, daß ihr Herz von
Liebe frey sey. Aber eben diese kleinen empfindsamen
Schwärmeleyen, öfneten es jedem süßen Eindrucke.
Sie lebte die vorigen glücklichen Zeiten in Gedanken
noch einmahl, sie erinnerte sich ihres Säuglings
ehrerbietiger, zärtlicher, inbrünstiger Gesinnungen,
sie besann sich, wie er sich ihrer bey einer schimpfli-

chen



Herbſt die Blaͤtter ſtreifte, und der Nordwind mit
ungeſtuͤmem Brauſen, jeden Schritt außer dem Hauſe
verwehrte, ſank Philemon in ihrer Jdee wirklich zu
einem gemeinen Bauer herab, und Baucis zu einer
weſtphaͤliſchen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr
in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, ſchel-
ten und ſchmollen konnte. Der Tempel ward wieder
eine enge und unbequeme Huͤtte, in welcher die harte
Koſt, ſo ſehr ſie der Einfalt unſchuldiger Hirtenvoͤl-
ker gemaͤß war, doch nicht ſchmecken wollte. Ja,
Mariane hat nachher ganz natuͤrlich geſtanden, daß
ſie ihrer phantaſiereichen Vorſtellungen ungeachtet,
dennoch zuweilen, bey einem patriarchaliſchen Milch-
brey in einer hoͤlzernen Satte, nach einem wohlfil-
trirten Kaffee in meisniſcher Schaale, luͤſtern ge-
weſen ſey.

Jn den erſten Tagen dieſer laͤndlichen Einſamkeit,
hatte ſie ſich, in liebliche Jdeen von arkadiſcher Un-
ſchuld verſenkt, bereden wollen, daß ihr Herz von
Liebe frey ſey. Aber eben dieſe kleinen empfindſamen
Schwaͤrmeleyen, oͤfneten es jedem ſuͤßen Eindrucke.
Sie lebte die vorigen gluͤcklichen Zeiten in Gedanken
noch einmahl, ſie erinnerte ſich ihres Saͤuglings
ehrerbietiger, zaͤrtlicher, inbruͤnſtiger Geſinnungen,
ſie beſann ſich, wie er ſich ihrer bey einer ſchimpfli-

chen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="107[106]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Herb&#x017F;t die Bla&#x0364;tter &#x017F;treifte, und der Nordwind mit<lb/>
unge&#x017F;tu&#x0364;mem Brau&#x017F;en, jeden Schritt außer dem Hau&#x017F;e<lb/>
verwehrte, &#x017F;ank <hi rendition="#fr">Philemon</hi> in ihrer Jdee wirklich zu<lb/>
einem gemeinen Bauer herab, und <hi rendition="#fr">Baucis</hi> zu einer<lb/>
we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr<lb/>
in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, &#x017F;chel-<lb/>
ten und &#x017F;chmollen konnte. Der Tempel ward wieder<lb/>
eine enge und unbequeme Hu&#x0364;tte, in welcher die harte<lb/>
Ko&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie der Einfalt un&#x017F;chuldiger Hirtenvo&#x0364;l-<lb/>
ker gema&#x0364;ß war, doch nicht &#x017F;chmecken wollte. Ja,<lb/><hi rendition="#fr">Mariane</hi> hat nachher ganz natu&#x0364;rlich ge&#x017F;tanden, daß<lb/>
&#x017F;ie ihrer phanta&#x017F;iereichen Vor&#x017F;tellungen ungeachtet,<lb/>
dennoch zuweilen, bey einem patriarchali&#x017F;chen Milch-<lb/>
brey in einer ho&#x0364;lzernen Satte, nach einem wohlfil-<lb/>
trirten Kaffee in meisni&#x017F;cher Schaale, lu&#x0364;&#x017F;tern ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Jn den er&#x017F;ten Tagen die&#x017F;er la&#x0364;ndlichen Ein&#x017F;amkeit,<lb/>
hatte &#x017F;ie &#x017F;ich, in liebliche Jdeen von arkadi&#x017F;cher Un-<lb/>
&#x017F;chuld ver&#x017F;enkt, bereden wollen, daß ihr Herz von<lb/>
Liebe frey &#x017F;ey. Aber eben die&#x017F;e kleinen empfind&#x017F;amen<lb/>
Schwa&#x0364;rmeleyen, o&#x0364;fneten es jedem &#x017F;u&#x0364;ßen Eindrucke.<lb/>
Sie lebte die vorigen glu&#x0364;cklichen Zeiten in Gedanken<lb/>
noch einmahl, &#x017F;ie erinnerte &#x017F;ich ihres <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi><lb/>
ehrerbietiger, za&#x0364;rtlicher, inbru&#x0364;n&#x017F;tiger Ge&#x017F;innungen,<lb/>
&#x017F;ie be&#x017F;ann &#x017F;ich, wie er &#x017F;ich ihrer bey einer &#x017F;chimpfli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107[106]/0117] Herbſt die Blaͤtter ſtreifte, und der Nordwind mit ungeſtuͤmem Brauſen, jeden Schritt außer dem Hauſe verwehrte, ſank Philemon in ihrer Jdee wirklich zu einem gemeinen Bauer herab, und Baucis zu einer weſtphaͤliſchen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, ſchel- ten und ſchmollen konnte. Der Tempel ward wieder eine enge und unbequeme Huͤtte, in welcher die harte Koſt, ſo ſehr ſie der Einfalt unſchuldiger Hirtenvoͤl- ker gemaͤß war, doch nicht ſchmecken wollte. Ja, Mariane hat nachher ganz natuͤrlich geſtanden, daß ſie ihrer phantaſiereichen Vorſtellungen ungeachtet, dennoch zuweilen, bey einem patriarchaliſchen Milch- brey in einer hoͤlzernen Satte, nach einem wohlfil- trirten Kaffee in meisniſcher Schaale, luͤſtern ge- weſen ſey. Jn den erſten Tagen dieſer laͤndlichen Einſamkeit, hatte ſie ſich, in liebliche Jdeen von arkadiſcher Un- ſchuld verſenkt, bereden wollen, daß ihr Herz von Liebe frey ſey. Aber eben dieſe kleinen empfindſamen Schwaͤrmeleyen, oͤfneten es jedem ſuͤßen Eindrucke. Sie lebte die vorigen gluͤcklichen Zeiten in Gedanken noch einmahl, ſie erinnerte ſich ihres Saͤuglings ehrerbietiger, zaͤrtlicher, inbruͤnſtiger Geſinnungen, ſie beſann ſich, wie er ſich ihrer bey einer ſchimpfli- chen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/117
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 107[106]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/117>, abgerufen am 24.11.2024.