Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."Mühe einen Stuhl zurecht zu bringen, und webte "Kottonade. Dieses Zeug war dort bisher noch "unbekannt gewesen, es fand viele Käufer, sobald "es bekannt wurde. Plötzlich ward ich auf das Rath- "haus gerufen, und bekam Befehl, meine Arbeit ein- "zustellen. Jch fragte erstaunt: weswegen? Weil "Jhr ein Pfuscher seyd, rief der Altmeister der Rasch- "macher, welches die stärkste Zunft in der Stadt "war, weil Jhr keinen Lehrbrief vorzeigen könnt, und "weil Jhr kein Meisterstück gemacht habt. -- Jn Böh- "men, erwiederte ich, giebt man keine Lehrbriefe, son- "dern es kann jeder weben, wer will, und was er "will, und was das Meisterstück anbetrifft, so seht "meine Waare an, ob sie nicht so gut ist, als irgend "Kottonade seyn kann. -- Eben dieses Zeug sollt Jhr "gar nicht machen; es ist verboten, sagte ein Raths- "herr sehr ernsthaft. -- Weswegen? sagte ich noch "mehr erstaunt. -- Weil es nicht der Vorschrift ge- "mäß ist; weil es der Grundverfassung der Stadt zu- "wider seyn würde. Schon vor langen Jahren ha- "ben die Gewerke Streit miteinander gehabt, und "da ist durch ein Gesetz festgesetzt worden, was für "Zeuge, und wer sie machen soll, die Leinweber Lein- "wand, die Tuchmacher Tuch, und die Raschmacher "Rasch. -- Aber, lieber Gott! rief ich, was kann ich "dafür, E 3
”Muͤhe einen Stuhl zurecht zu bringen, und webte ”Kottonade. Dieſes Zeug war dort bisher noch ”unbekannt geweſen, es fand viele Kaͤufer, ſobald ”es bekannt wurde. Ploͤtzlich ward ich auf das Rath- ”haus gerufen, und bekam Befehl, meine Arbeit ein- ”zuſtellen. Jch fragte erſtaunt: weswegen? Weil ”Jhr ein Pfuſcher ſeyd, rief der Altmeiſter der Raſch- ”macher, welches die ſtaͤrkſte Zunft in der Stadt ”war, weil Jhr keinen Lehrbrief vorzeigen koͤnnt, und ”weil Jhr kein Meiſterſtuͤck gemacht habt. — Jn Boͤh- ”men, erwiederte ich, giebt man keine Lehrbriefe, ſon- ”dern es kann jeder weben, wer will, und was er ”will, und was das Meiſterſtuͤck anbetrifft, ſo ſeht ”meine Waare an, ob ſie nicht ſo gut iſt, als irgend ”Kottonade ſeyn kann. — Eben dieſes Zeug ſollt Jhr ”gar nicht machen; es iſt verboten, ſagte ein Raths- ”herr ſehr ernſthaft. — Weswegen? ſagte ich noch ”mehr erſtaunt. — Weil es nicht der Vorſchrift ge- ”maͤß iſt; weil es der Grundverfaſſung der Stadt zu- ”wider ſeyn wuͤrde. Schon vor langen Jahren ha- ”ben die Gewerke Streit miteinander gehabt, und ”da iſt durch ein Geſetz feſtgeſetzt worden, was fuͤr ”Zeuge, und wer ſie machen ſoll, die Leinweber Lein- ”wand, die Tuchmacher Tuch, und die Raſchmacher ”Raſch. — Aber, lieber Gott! rief ich, was kann ich ”dafuͤr, E 3
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”Muͤhe einen Stuhl zurecht zu bringen, und webte
”Kottonade. Dieſes Zeug war dort bisher noch
”unbekannt geweſen, es fand viele Kaͤufer, ſobald
”es bekannt wurde. Ploͤtzlich ward ich auf das Rath-
”haus gerufen, und bekam Befehl, meine Arbeit ein-
”zuſtellen. Jch fragte erſtaunt: weswegen? Weil
”Jhr ein Pfuſcher ſeyd, rief der Altmeiſter der Raſch-
”macher, welches die ſtaͤrkſte Zunft in der Stadt
”war, weil Jhr keinen Lehrbrief vorzeigen koͤnnt, und
”weil Jhr kein Meiſterſtuͤck gemacht habt. — Jn Boͤh-
”men, erwiederte ich, giebt man keine Lehrbriefe, ſon-
”dern es kann jeder weben, wer will, und was er
”will, und was das Meiſterſtuͤck anbetrifft, ſo ſeht
”meine Waare an, ob ſie nicht ſo gut iſt, als irgend
”Kottonade ſeyn kann. — Eben dieſes Zeug ſollt Jhr
”gar nicht machen; es iſt verboten, ſagte ein Raths-
”herr ſehr ernſthaft. — Weswegen? ſagte ich noch
”mehr erſtaunt. — Weil es nicht der Vorſchrift ge-
”maͤß iſt; weil es der Grundverfaſſung der Stadt zu-
”wider ſeyn wuͤrde. Schon vor langen Jahren ha-
”ben die Gewerke Streit miteinander gehabt, und
”da iſt durch ein Geſetz feſtgeſetzt worden, was fuͤr
”Zeuge, und wer ſie machen ſoll, die Leinweber Lein-
”wand, die Tuchmacher Tuch, und die Raſchmacher
”Raſch. — Aber, lieber Gott! rief ich, was kann ich
”dafuͤr,
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