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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"den neu angekommenen Ketzer zu sehen. Zugleich er-
"fuhr ich, alsdann erst, daß in diesem Fürstenthume
"ein Paar symbolische Bücher mehr, als in dem an-
"dern Fürstenthume müßten beschworen werden, daß
"man, für die Stadt, noch eine besondere Formulam
"committendi
habe, die von abgeschmackten Schuldi-
"stinktionen voll war, und daß man (weil mein Geg-
"ner bey Leuten von Ansehen eben so wenig müßig
"gewesen war, als beym Pöbel,) derselben noch, wi-
"der die Ketzereyen, die man von mir besorgte, drey
"spitzfündige und verfängliche Klauseln einverleibt
"habe, die ich unterschreiben sollte, ehe ich mein
"Amt anträte.'

,Jch war wie vom Donner gerührt. Es war sehr
"hart, etwas beschwören und unterschreiben zu sollen,
"das ich nicht glaubte, und gleichwohl, wenn ich es
"nicht that, so brachte ich mich selbst an den Bettel-
"stab, und meine Frau, die ich wie meine Seele
"liebte, die seit einigen Monathen schwanger war,
"stürzte ich in das äußerste Elend.

,Mein Entschluß mußte kurz gefaßt werden; denn
"man hielt auf mich, und wartete nur, ob ich mich
"weigern würde. Jch war in der ängstlichsten Ver-
"legenheit, und ich suchte doch, aus Zärtlichkeit, mei-
"nen traurigen Zustand meiner geliebten Gattinn zu

"verber-



”den neu angekommenen Ketzer zu ſehen. Zugleich er-
”fuhr ich, alsdann erſt, daß in dieſem Fuͤrſtenthume
”ein Paar ſymboliſche Buͤcher mehr, als in dem an-
”dern Fuͤrſtenthume muͤßten beſchworen werden, daß
”man, fuͤr die Stadt, noch eine beſondere Formulam
”committendi
habe, die von abgeſchmackten Schuldi-
”ſtinktionen voll war, und daß man (weil mein Geg-
”ner bey Leuten von Anſehen eben ſo wenig muͤßig
”geweſen war, als beym Poͤbel,) derſelben noch, wi-
”der die Ketzereyen, die man von mir beſorgte, drey
”ſpitzfuͤndige und verfaͤngliche Klauſeln einverleibt
”habe, die ich unterſchreiben ſollte, ehe ich mein
”Amt antraͤte.‛

‚Jch war wie vom Donner geruͤhrt. Es war ſehr
”hart, etwas beſchwoͤren und unterſchreiben zu ſollen,
”das ich nicht glaubte, und gleichwohl, wenn ich es
”nicht that, ſo brachte ich mich ſelbſt an den Bettel-
”ſtab, und meine Frau, die ich wie meine Seele
”liebte, die ſeit einigen Monathen ſchwanger war,
”ſtuͤrzte ich in das aͤußerſte Elend.

‚Mein Entſchluß mußte kurz gefaßt werden; denn
”man hielt auf mich, und wartete nur, ob ich mich
”weigern wuͤrde. Jch war in der aͤngſtlichſten Ver-
”legenheit, und ich ſuchte doch, aus Zaͤrtlichkeit, mei-
”nen traurigen Zuſtand meiner geliebten Gattinn zu

”verber-
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[62/0068] ”den neu angekommenen Ketzer zu ſehen. Zugleich er- ”fuhr ich, alsdann erſt, daß in dieſem Fuͤrſtenthume ”ein Paar ſymboliſche Buͤcher mehr, als in dem an- ”dern Fuͤrſtenthume muͤßten beſchworen werden, daß ”man, fuͤr die Stadt, noch eine beſondere Formulam ”committendi habe, die von abgeſchmackten Schuldi- ”ſtinktionen voll war, und daß man (weil mein Geg- ”ner bey Leuten von Anſehen eben ſo wenig muͤßig ”geweſen war, als beym Poͤbel,) derſelben noch, wi- ”der die Ketzereyen, die man von mir beſorgte, drey ”ſpitzfuͤndige und verfaͤngliche Klauſeln einverleibt ”habe, die ich unterſchreiben ſollte, ehe ich mein ”Amt antraͤte.‛ ‚Jch war wie vom Donner geruͤhrt. Es war ſehr ”hart, etwas beſchwoͤren und unterſchreiben zu ſollen, ”das ich nicht glaubte, und gleichwohl, wenn ich es ”nicht that, ſo brachte ich mich ſelbſt an den Bettel- ”ſtab, und meine Frau, die ich wie meine Seele ”liebte, die ſeit einigen Monathen ſchwanger war, ”ſtuͤrzte ich in das aͤußerſte Elend. ‚Mein Entſchluß mußte kurz gefaßt werden; denn ”man hielt auf mich, und wartete nur, ob ich mich ”weigern wuͤrde. Jch war in der aͤngſtlichſten Ver- ”legenheit, und ich ſuchte doch, aus Zaͤrtlichkeit, mei- ”nen traurigen Zuſtand meiner geliebten Gattinn zu ”verber-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/68>, abgerufen am 02.05.2024.