Sebaldus, von aller Hülfe verlassen, irrte noch einige Stunden, fast ohne Besinnung, auf den Straßen herum. Er hatte, seit dem frühen Mergen, noch nichts gegessen, er war von der Reise, und vom Gram äußerst ermüdet, alle seine Glieder ermatteten, alle Hoffnung verließ ihn, und er sank, als es anfieng dunkel zu werden, beynahe ohne es selbst zu wissen, unter dem Bogengange der Stechbahn in einen Win- kel trostlos nieder. Hier lag er, unter den traur gsten Betrachtungen. Bald fiel ihm die Hartherzigkeit des Stauzius und des Präsidenten ein, die ihm in sei- nem Vaterlande nicht einmal die Luft gegönnet hat- ten; bald gieng ihm die Gleichgültigkeit der Einwoh- Berlins aus Herz, die auf das Elend eines Neben- menschen so wenig Acht hatten. Die Standhaftig- keit, die ihm sonst sein ruhiges Temperament gewährte, hatte ihn ganz verlassen. Er stieß laute Seufzer und die bittersten Klagen aus. Er erregte dadurch die Aufmerksamkeit vieler Vorübergehenden, die von Ga- stereyen, oder Spaziergängen zurück kamen. Einige sagte: ,Da liegt ein Mensch!' andere: ,Was muß "das für ein Mensch seyn?' andere warfen ihm ein Paar Dreyer zu, die einen Mann, dessen Gesin- nungen das Elend noch nicht ganz hatte erniedrigen können, demüthigten, ohne ihm zu helfen.
End-
Sebaldus, von aller Huͤlfe verlaſſen, irrte noch einige Stunden, faſt ohne Beſinnung, auf den Straßen herum. Er hatte, ſeit dem fruͤhen Mergen, noch nichts gegeſſen, er war von der Reiſe, und vom Gram aͤußerſt ermuͤdet, alle ſeine Glieder ermatteten, alle Hoffnung verließ ihn, und er ſank, als es anfieng dunkel zu werden, beynahe ohne es ſelbſt zu wiſſen, unter dem Bogengange der Stechbahn in einen Win- kel troſtlos nieder. Hier lag er, unter den traur gſten Betrachtungen. Bald fiel ihm die Hartherzigkeit des Stauzius und des Praͤſidenten ein, die ihm in ſei- nem Vaterlande nicht einmal die Luft gegoͤnnet hat- ten; bald gieng ihm die Gleichguͤltigkeit der Einwoh- Berlins aus Herz, die auf das Elend eines Neben- menſchen ſo wenig Acht hatten. Die Standhaftig- keit, die ihm ſonſt ſein ruhiges Temperament gewaͤhrte, hatte ihn ganz verlaſſen. Er ſtieß laute Seufzer und die bitterſten Klagen aus. Er erregte dadurch die Aufmerkſamkeit vieler Voruͤbergehenden, die von Ga- ſtereyen, oder Spaziergaͤngen zuruͤck kamen. Einige ſagte: ‚Da liegt ein Menſch!‛ andere: ‚Was muß ”das fuͤr ein Menſch ſeyn?‛ andere warfen ihm ein Paar Dreyer zu, die einen Mann, deſſen Geſin- nungen das Elend noch nicht ganz hatte erniedrigen koͤnnen, demuͤthigten, ohne ihm zu helfen.
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Sebaldus, von aller Huͤlfe verlaſſen, irrte noch
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aͤußerſt ermuͤdet, alle ſeine Glieder ermatteten, alle
Hoffnung verließ ihn, und er ſank, als es anfieng
dunkel zu werden, beynahe ohne es ſelbſt zu wiſſen,
unter dem Bogengange der Stechbahn in einen Win-
kel troſtlos nieder. Hier lag er, unter den traur gſten
Betrachtungen. Bald fiel ihm die Hartherzigkeit des
Stauzius und des Praͤſidenten ein, die ihm in ſei-
nem Vaterlande nicht einmal die Luft gegoͤnnet hat-
ten; bald gieng ihm die Gleichguͤltigkeit der Einwoh-
Berlins aus Herz, die auf das Elend eines Neben-
menſchen ſo wenig Acht hatten. Die Standhaftig-
keit, die ihm ſonſt ſein ruhiges Temperament gewaͤhrte,
hatte ihn ganz verlaſſen. Er ſtieß laute Seufzer und
die bitterſten Klagen aus. Er erregte dadurch die
Aufmerkſamkeit vieler Voruͤbergehenden, die von Ga-
ſtereyen, oder Spaziergaͤngen zuruͤck kamen. Einige
ſagte: ‚Da liegt ein Menſch!‛ andere: ‚Was muß
”das fuͤr ein Menſch ſeyn?‛ andere warfen ihm ein
Paar Dreyer zu, die einen Mann, deſſen Geſin-
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koͤnnen, demuͤthigten, ohne ihm zu helfen.
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/47>, abgerufen am 25.11.2024.
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