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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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,Nichts wünsche ich so sehr, als daß ihr glücklich
"seyn möget. Jhr werdet es von mir überzeugt
"seyn, meine lieben Zuhörer, daß ich dieses auf-
"richtig wünsche; denn ihr wißt, wie ich zu euch
"eile, um euch zu trösten, wenn ihr traurig seyd,
"und wie gern ich auch an euren Freuden Antheil
"nehme, wenn ihr einen fröhlichen Tag habt. Mein
"Amt, und mein Herz macht mir dieses zur Pflicht.
"Mein Amt, weil es mir zunächst aufgetragen ist,
"euch an meiner Hand durch die Bahn dieses Le-
"bens zu führen, und euch zu einem seligen Leben,
"das euch nach diesem erwartet, zu bereiten. Aber
"auch mein Herz macht es mir zur Pflicht, weil
"ich euch aufs herzlichste liebe. Ein Hirt kann
"nicht so sehr seine Schafe, ein Vater nicht so sehr
"seine Kinder lieben, als ich euch.'

So ein grober Egoist war der bescheidene Sebal-
dus
nicht. Er sprach nicht so viel von sich. Er
liebte seine Kirchkinder; aber diese Liebe trug er nicht
öffentlich zur Schau. Er stand seinem Amte vor, er
that seine Pflicht; aber er hatte sein wichtiges
Amt,
seine theure Pflicht, nicht immer auf der
Zunge, um seinem guten Herzen ein Kompliment zu
machen. Hingegen der ruhmsüchtige Erasmus, der

haupt-


‚Nichts wuͤnſche ich ſo ſehr, als daß ihr gluͤcklich
”ſeyn moͤget. Jhr werdet es von mir uͤberzeugt
”ſeyn, meine lieben Zuhoͤrer, daß ich dieſes auf-
”richtig wuͤnſche; denn ihr wißt, wie ich zu euch
”eile, um euch zu troͤſten, wenn ihr traurig ſeyd,
”und wie gern ich auch an euren Freuden Antheil
”nehme, wenn ihr einen froͤhlichen Tag habt. Mein
”Amt, und mein Herz macht mir dieſes zur Pflicht.
Mein Amt, weil es mir zunaͤchſt aufgetragen iſt,
”euch an meiner Hand durch die Bahn dieſes Le-
”bens zu fuͤhren, und euch zu einem ſeligen Leben,
”das euch nach dieſem erwartet, zu bereiten. Aber
”auch mein Herz macht es mir zur Pflicht, weil
ich euch aufs herzlichſte liebe. Ein Hirt kann
”nicht ſo ſehr ſeine Schafe, ein Vater nicht ſo ſehr
”ſeine Kinder lieben, als ich euch.‛

So ein grober Egoiſt war der beſcheidene Sebal-
dus
nicht. Er ſprach nicht ſo viel von ſich. Er
liebte ſeine Kirchkinder; aber dieſe Liebe trug er nicht
oͤffentlich zur Schau. Er ſtand ſeinem Amte vor, er
that ſeine Pflicht; aber er hatte ſein wichtiges
Amt,
ſeine theure Pflicht, nicht immer auf der
Zunge, um ſeinem guten Herzen ein Kompliment zu
machen. Hingegen der ruhmſuͤchtige Eraſmus, der

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[270/0284] ‚Nichts wuͤnſche ich ſo ſehr, als daß ihr gluͤcklich ”ſeyn moͤget. Jhr werdet es von mir uͤberzeugt ”ſeyn, meine lieben Zuhoͤrer, daß ich dieſes auf- ”richtig wuͤnſche; denn ihr wißt, wie ich zu euch ”eile, um euch zu troͤſten, wenn ihr traurig ſeyd, ”und wie gern ich auch an euren Freuden Antheil ”nehme, wenn ihr einen froͤhlichen Tag habt. Mein ”Amt, und mein Herz macht mir dieſes zur Pflicht. ”Mein Amt, weil es mir zunaͤchſt aufgetragen iſt, ”euch an meiner Hand durch die Bahn dieſes Le- ”bens zu fuͤhren, und euch zu einem ſeligen Leben, ”das euch nach dieſem erwartet, zu bereiten. Aber ”auch mein Herz macht es mir zur Pflicht, weil ”ich euch aufs herzlichſte liebe. Ein Hirt kann ”nicht ſo ſehr ſeine Schafe, ein Vater nicht ſo ſehr ”ſeine Kinder lieben, als ich euch.‛ So ein grober Egoiſt war der beſcheidene Sebal- dus nicht. Er ſprach nicht ſo viel von ſich. Er liebte ſeine Kirchkinder; aber dieſe Liebe trug er nicht oͤffentlich zur Schau. Er ſtand ſeinem Amte vor, er that ſeine Pflicht; aber er hatte ſein wichtiges Amt, ſeine theure Pflicht, nicht immer auf der Zunge, um ſeinem guten Herzen ein Kompliment zu machen. Hingegen der ruhmſuͤchtige Eraſmus, der haupt-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/284>, abgerufen am 25.11.2024.