Mackligius rief sehr erschrocken: Nein! nein! die Menschen müssen nicht zu vorwitzig seyn. Wenn wir nicht der Untersuchungssucht ein Ziel setzen wol- len, wer weiß, wohin wir noch gerathen könnnen; da können wir noch Synkretisten und Jndifferenti- sten, ja endlich gar Naturalisten werden.
Seb. Jch glaube nicht, daß uns die Untersuchung so weit führen werde, aber ich, für meine Person, folge dem Wege zur Wahrheit ganz gelassen, wohin er mich auch führet, ohne mir ein Ziel zu stecken, wo ich aufhören will.
Mackl. Ach! mein lieber Herr Magister! ich will lieber bleiben, wo ich bin, als mich so weit wagen. Jch werde gar zu unruhig, wenn ich an solche Dinge denke: darum vermeide ich sie lieber, und das thun Sie nur auch.
Seb. Wenigstens will ich niemand zureden, hier- inn weiter zu gehen, als ihn seine Neigung führet. Jndessen erhellet aus allem diesem wenigstens so viel, daß wir uns die Unfehlbarkeit in Glaubenssachen nicht zueignen können, daß wir die, die darüber an- ders denken, lieben dürfen, und toleriren müssen.
Mackl. Ja! ja! toleriren ist auch viel kürzer, als wenn man so viel untersucht. Wir wollen sie, wie Sie ganz recht sagen, lieber toleriren. Jndessen,
um
Q 3
Mackligius rief ſehr erſchrocken: Nein! nein! die Menſchen muͤſſen nicht zu vorwitzig ſeyn. Wenn wir nicht der Unterſuchungsſucht ein Ziel ſetzen wol- len, wer weiß, wohin wir noch gerathen koͤnnnen; da koͤnnen wir noch Synkretiſten und Jndifferenti- ſten, ja endlich gar Naturaliſten werden.
Seb. Jch glaube nicht, daß uns die Unterſuchung ſo weit fuͤhren werde, aber ich, fuͤr meine Perſon, folge dem Wege zur Wahrheit ganz gelaſſen, wohin er mich auch fuͤhret, ohne mir ein Ziel zu ſtecken, wo ich aufhoͤren will.
Mackl. Ach! mein lieber Herr Magiſter! ich will lieber bleiben, wo ich bin, als mich ſo weit wagen. Jch werde gar zu unruhig, wenn ich an ſolche Dinge denke: darum vermeide ich ſie lieber, und das thun Sie nur auch.
Seb. Wenigſtens will ich niemand zureden, hier- inn weiter zu gehen, als ihn ſeine Neigung fuͤhret. Jndeſſen erhellet aus allem dieſem wenigſtens ſo viel, daß wir uns die Unfehlbarkeit in Glaubensſachen nicht zueignen koͤnnen, daß wir die, die daruͤber an- ders denken, lieben duͤrfen, und toleriren muͤſſen.
Mackl. Ja! ja! toleriren iſt auch viel kuͤrzer, als wenn man ſo viel unterſucht. Wir wollen ſie, wie Sie ganz recht ſagen, lieber toleriren. Jndeſſen,
um
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Mackligius rief ſehr erſchrocken: Nein! nein!
die Menſchen muͤſſen nicht zu vorwitzig ſeyn. Wenn
wir nicht der Unterſuchungsſucht ein Ziel ſetzen wol-
len, wer weiß, wohin wir noch gerathen koͤnnnen;
da koͤnnen wir noch Synkretiſten und Jndifferenti-
ſten, ja endlich gar Naturaliſten werden.
Seb. Jch glaube nicht, daß uns die Unterſuchung
ſo weit fuͤhren werde, aber ich, fuͤr meine Perſon,
folge dem Wege zur Wahrheit ganz gelaſſen, wohin
er mich auch fuͤhret, ohne mir ein Ziel zu ſtecken, wo
ich aufhoͤren will.
Mackl. Ach! mein lieber Herr Magiſter! ich will
lieber bleiben, wo ich bin, als mich ſo weit wagen.
Jch werde gar zu unruhig, wenn ich an ſolche Dinge
denke: darum vermeide ich ſie lieber, und das thun
Sie nur auch.
Seb. Wenigſtens will ich niemand zureden, hier-
inn weiter zu gehen, als ihn ſeine Neigung fuͤhret.
Jndeſſen erhellet aus allem dieſem wenigſtens ſo viel,
daß wir uns die Unfehlbarkeit in Glaubensſachen
nicht zueignen koͤnnen, daß wir die, die daruͤber an-
ders denken, lieben duͤrfen, und toleriren muͤſſen.
Mackl. Ja! ja! toleriren iſt auch viel kuͤrzer,
als wenn man ſo viel unterſucht. Wir wollen ſie, wie
Sie ganz recht ſagen, lieber toleriren. Jndeſſen,
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/253>, abgerufen am 05.07.2024.
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