Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.Seufzer und nicht wenig Verse. Aber eben sein zwey- tes Unglück war, daß seine Gedichte, durch deren gute Aufnahme in dieser Gesellschaft er bisher eine so seltne Glückseligkeit genossen hatte, nun sehr zu fallen anfiengen, wovon er die Ursachen nicht ein- sehen konnte. Sie waren gleichwohl sehr natürlich. Mariane schwieg davon gemeiniglich ganz still, weil sie sich fürchtete, ihre geheimen Bewegungen, die sie zu verbergen suchte, unvermuthet zu verrathen. Das Fräulein hatte immer etwas daran zu tadeln, weil ihr die Eifersucht eingab, daß sie an Marianen ge- richtet wären, oder auf sie anspielten; und der Ober- ste, der sich nie im Ernste um Verse bekümmert hatte, fand itzt nicht mehr, wie vormals, Ursach sich zu stellen, als ob sie ihm gefielen, vielmehr pflegte er, in seiner itzigen üblen Laune, sich oft geradezu dar- über aufzuhalten. Zum Unglücke für Säuglingen, ward er darinnen zuweilen von der Gräfinn unter- stützt, deren feiner Geschmack schon längst in Säug- lings Liedern eine gewisse Einförmigkeit und Läßig- keit wahrgenommen hatte, wofür ihm selbst der Sinn fehlte. Da er nun unabläßig fortfuhr, täglich neue Gedichte vorzulesen, so nahm sich die Gräfinn im Ernste vor, dem sonst unbescholtenen guten Jünglinge diese kleine Thorheit abzugewöhnen. Als
Seufzer und nicht wenig Verſe. Aber eben ſein zwey- tes Ungluͤck war, daß ſeine Gedichte, durch deren gute Aufnahme in dieſer Geſellſchaft er bisher eine ſo ſeltne Gluͤckſeligkeit genoſſen hatte, nun ſehr zu fallen anfiengen, wovon er die Urſachen nicht ein- ſehen konnte. Sie waren gleichwohl ſehr natuͤrlich. Mariane ſchwieg davon gemeiniglich ganz ſtill, weil ſie ſich fuͤrchtete, ihre geheimen Bewegungen, die ſie zu verbergen ſuchte, unvermuthet zu verrathen. Das Fraͤulein hatte immer etwas daran zu tadeln, weil ihr die Eiferſucht eingab, daß ſie an Marianen ge- richtet waͤren, oder auf ſie anſpielten; und der Ober- ſte, der ſich nie im Ernſte um Verſe bekuͤmmert hatte, fand itzt nicht mehr, wie vormals, Urſach ſich zu ſtellen, als ob ſie ihm gefielen, vielmehr pflegte er, in ſeiner itzigen uͤblen Laune, ſich oft geradezu dar- uͤber aufzuhalten. Zum Ungluͤcke fuͤr Saͤuglingen, ward er darinnen zuweilen von der Graͤfinn unter- ſtuͤtzt, deren feiner Geſchmack ſchon laͤngſt in Saͤug- lings Liedern eine gewiſſe Einfoͤrmigkeit und Laͤßig- keit wahrgenommen hatte, wofuͤr ihm ſelbſt der Sinn fehlte. Da er nun unablaͤßig fortfuhr, taͤglich neue Gedichte vorzuleſen, ſo nahm ſich die Graͤfinn im Ernſte vor, dem ſonſt unbeſcholtenen guten Juͤnglinge dieſe kleine Thorheit abzugewoͤhnen. Als
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Seufzer und nicht wenig Verſe. Aber eben ſein zwey-
tes Ungluͤck war, daß ſeine Gedichte, durch deren
gute Aufnahme in dieſer Geſellſchaft er bisher
eine ſo ſeltne Gluͤckſeligkeit genoſſen hatte, nun ſehr
zu fallen anfiengen, wovon er die Urſachen nicht ein-
ſehen konnte. Sie waren gleichwohl ſehr natuͤrlich.
Mariane ſchwieg davon gemeiniglich ganz ſtill, weil
ſie ſich fuͤrchtete, ihre geheimen Bewegungen, die ſie
zu verbergen ſuchte, unvermuthet zu verrathen. Das
Fraͤulein hatte immer etwas daran zu tadeln, weil
ihr die Eiferſucht eingab, daß ſie an Marianen ge-
richtet waͤren, oder auf ſie anſpielten; und der Ober-
ſte, der ſich nie im Ernſte um Verſe bekuͤmmert hatte,
fand itzt nicht mehr, wie vormals, Urſach ſich zu
ſtellen, als ob ſie ihm gefielen, vielmehr pflegte er,
in ſeiner itzigen uͤblen Laune, ſich oft geradezu dar-
uͤber aufzuhalten. Zum Ungluͤcke fuͤr Saͤuglingen,
ward er darinnen zuweilen von der Graͤfinn unter-
ſtuͤtzt, deren feiner Geſchmack ſchon laͤngſt in Saͤug-
lings Liedern eine gewiſſe Einfoͤrmigkeit und Laͤßig-
keit wahrgenommen hatte, wofuͤr ihm ſelbſt der Sinn
fehlte. Da er nun unablaͤßig fortfuhr, taͤglich neue
Gedichte vorzuleſen, ſo nahm ſich die Graͤfinn im
Ernſte vor, dem ſonſt unbeſcholtenen guten Juͤnglinge
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