Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Frau von Ehrenkolb gehörte zu den guten
Müttern, die sich selbst in ihren Töchtern genießen.
Daß ihre Tochter Aufsehen machte, und gerühmt
wurde, gefiel dem guten mütterlichen Herzen, und
wenn sich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo-
lität setzte, so war doch die kleinste Liebkosung der
Tochter hinlänglich, die schwache Mutter nachge-
bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge-
nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter gesetzt und
weise wäre.

So ungelegen es dem Fräulein gewesen war, daß
sie der verdrießliche Frühling aus der fürstlichen Re-
sidenz auf das Land trieb, so angenehm war ihr die
Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey
derselben schon oft große glänzende Gesellschaften ge-
sehen, und hoffte also daselbst ebenfalls wieder viel
schöne Welt, und unter derselben viele Anbeter zu
finden. Sie probirte schon in Gedanken die Rollen,
die sie spielen wollte, und träumte schon viel von
zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen,
und von einer muntern Jugend, die sie mit Einem
Blicke an ihrem Siegeswagen hinter sich zog. Wie
sehr erschrocken war sie daher, als sie niemand an-
traf; denn den schüchternen Säugling, der eine so
rauschende Petitemaitresse, als ein niegesehenes Wun-

derthier


Die Frau von Ehrenkolb gehoͤrte zu den guten
Muͤttern, die ſich ſelbſt in ihren Toͤchtern genießen.
Daß ihre Tochter Aufſehen machte, und geruͤhmt
wurde, gefiel dem guten muͤtterlichen Herzen, und
wenn ſich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo-
litaͤt ſetzte, ſo war doch die kleinſte Liebkoſung der
Tochter hinlaͤnglich, die ſchwache Mutter nachge-
bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge-
nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter geſetzt und
weiſe waͤre.

So ungelegen es dem Fraͤulein geweſen war, daß
ſie der verdrießliche Fruͤhling aus der fuͤrſtlichen Re-
ſidenz auf das Land trieb, ſo angenehm war ihr die
Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey
derſelben ſchon oft große glaͤnzende Geſellſchaften ge-
ſehen, und hoffte alſo daſelbſt ebenfalls wieder viel
ſchoͤne Welt, und unter derſelben viele Anbeter zu
finden. Sie probirte ſchon in Gedanken die Rollen,
die ſie ſpielen wollte, und traͤumte ſchon viel von
zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen,
und von einer muntern Jugend, die ſie mit Einem
Blicke an ihrem Siegeswagen hinter ſich zog. Wie
ſehr erſchrocken war ſie daher, als ſie niemand an-
traf; denn den ſchuͤchternen Saͤugling, der eine ſo
rauſchende Petitemaitreſſe, als ein niegeſehenes Wun-

derthier
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0162" n="152"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Frau von <hi rendition="#fr">Ehrenkolb</hi> geho&#x0364;rte zu den guten<lb/>
Mu&#x0364;ttern, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in ihren To&#x0364;chtern genießen.<lb/>
Daß ihre Tochter Auf&#x017F;ehen machte, und geru&#x0364;hmt<lb/>
wurde, gefiel dem guten mu&#x0364;tterlichen Herzen, und<lb/>
wenn &#x017F;ich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo-<lb/>
lita&#x0364;t &#x017F;etzte, &#x017F;o war doch die klein&#x017F;te Liebko&#x017F;ung der<lb/>
Tochter hinla&#x0364;nglich, die &#x017F;chwache Mutter nachge-<lb/>
bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge-<lb/>
nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter ge&#x017F;etzt und<lb/>
wei&#x017F;e wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>So ungelegen es dem Fra&#x0364;ulein gewe&#x017F;en war, daß<lb/>
&#x017F;ie der verdrießliche Fru&#x0364;hling aus der fu&#x0364;r&#x017F;tlichen Re-<lb/>
&#x017F;idenz auf das Land trieb, &#x017F;o angenehm war ihr die<lb/>
Einladung der Frau von <hi rendition="#fr">Hohenauf.</hi> Sie hatte bey<lb/>
der&#x017F;elben &#x017F;chon oft große gla&#x0364;nzende Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften ge-<lb/>
&#x017F;ehen, und hoffte al&#x017F;o da&#x017F;elb&#x017F;t ebenfalls wieder viel<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;cho&#x0364;ne Welt,</hi> und unter der&#x017F;elben viele Anbeter zu<lb/>
finden. Sie probirte &#x017F;chon in Gedanken die Rollen,<lb/>
die &#x017F;ie &#x017F;pielen wollte, und tra&#x0364;umte &#x017F;chon viel von<lb/>
zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen,<lb/>
und von einer muntern Jugend, die &#x017F;ie mit Einem<lb/>
Blicke an ihrem Siegeswagen hinter &#x017F;ich zog. Wie<lb/>
&#x017F;ehr er&#x017F;chrocken war &#x017F;ie daher, als &#x017F;ie <hi rendition="#fr">niemand</hi> an-<lb/>
traf; denn den &#x017F;chu&#x0364;chternen <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling,</hi> der eine &#x017F;o<lb/>
rau&#x017F;chende Petitemaitre&#x017F;&#x017F;e, als ein niege&#x017F;ehenes Wun-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">derthier</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0162] Die Frau von Ehrenkolb gehoͤrte zu den guten Muͤttern, die ſich ſelbſt in ihren Toͤchtern genießen. Daß ihre Tochter Aufſehen machte, und geruͤhmt wurde, gefiel dem guten muͤtterlichen Herzen, und wenn ſich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo- litaͤt ſetzte, ſo war doch die kleinſte Liebkoſung der Tochter hinlaͤnglich, die ſchwache Mutter nachge- bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge- nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter geſetzt und weiſe waͤre. So ungelegen es dem Fraͤulein geweſen war, daß ſie der verdrießliche Fruͤhling aus der fuͤrſtlichen Re- ſidenz auf das Land trieb, ſo angenehm war ihr die Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey derſelben ſchon oft große glaͤnzende Geſellſchaften ge- ſehen, und hoffte alſo daſelbſt ebenfalls wieder viel ſchoͤne Welt, und unter derſelben viele Anbeter zu finden. Sie probirte ſchon in Gedanken die Rollen, die ſie ſpielen wollte, und traͤumte ſchon viel von zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen, und von einer muntern Jugend, die ſie mit Einem Blicke an ihrem Siegeswagen hinter ſich zog. Wie ſehr erſchrocken war ſie daher, als ſie niemand an- traf; denn den ſchuͤchternen Saͤugling, der eine ſo rauſchende Petitemaitreſſe, als ein niegeſehenes Wun- derthier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/162
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/162>, abgerufen am 25.11.2024.