Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."ten Unschuld so wenig rührt, als den Schlächter das "Blöken des Lamms, dem er die Kehle abschneiden "will. Mit diesem hat der schändliche Unterhändler "vermuthlich den abscheulichen Entwurf ins Reine ge- "bracht, mich und mein Kind ins Unglück zu stürzen. "Er führte meine Tochter, in Gesellschaft ihrer Mut- "ter, zu seiner Muhme, wie er sagte, einer Matrone, "die ausgenähte Arbeit verfertigte, und verfertigen "ließ. Sie schien mit meiner Tochter Arbeit zufrie- "den, zeigte ihr aber noch feinere, und gab ihr zu "verstehen, daß sie dergleichen von ihr wolle verferti- "gen lassen, daß sie ihr mehrere Vortheile dabey zei- "gen wolle, nur müsse sie unter ihren Augen arbei- "ten. Mein Kind freute sich, mehr lernen zu kön- "nen, und wir fanden kein Bedenken, sie in das "Haus einer Matrone zu schicken, bey der alles ein "frommes und verständiges Ansehen hatte. Sie gieng "einige Monathe lang täglich in dieß Haus. Sie nahm "an Geschicklichkeit zu, und wir glaubten, diese Be- "kanntschaft wäre ein Glück für unser Kind. Ach, "leider! wir wußten nicht, daß sie schon unwieder- "bringlich unglücklich war. Jn den ersten Tagen "ihres Anfenthalts in diesem Hause, war der junge "Herr selbst, unter dem Vorwande Arbeit zu bestel- "len, dahin gekommen, er hatte meine Tochter gese- "hen,
”ten Unſchuld ſo wenig ruͤhrt, als den Schlaͤchter das ”Bloͤken des Lamms, dem er die Kehle abſchneiden ”will. Mit dieſem hat der ſchaͤndliche Unterhaͤndler ”vermuthlich den abſcheulichen Entwurf ins Reine ge- ”bracht, mich und mein Kind ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen. ”Er fuͤhrte meine Tochter, in Geſellſchaft ihrer Mut- ”ter, zu ſeiner Muhme, wie er ſagte, einer Matrone, ”die ausgenaͤhte Arbeit verfertigte, und verfertigen ”ließ. Sie ſchien mit meiner Tochter Arbeit zufrie- ”den, zeigte ihr aber noch feinere, und gab ihr zu ”verſtehen, daß ſie dergleichen von ihr wolle verferti- ”gen laſſen, daß ſie ihr mehrere Vortheile dabey zei- ”gen wolle, nur muͤſſe ſie unter ihren Augen arbei- ”ten. Mein Kind freute ſich, mehr lernen zu koͤn- ”nen, und wir fanden kein Bedenken, ſie in das ”Haus einer Matrone zu ſchicken, bey der alles ein ”frommes und verſtaͤndiges Anſehen hatte. Sie gieng ”einige Monathe lang taͤglich in dieß Haus. Sie nahm ”an Geſchicklichkeit zu, und wir glaubten, dieſe Be- ”kanntſchaft waͤre ein Gluͤck fuͤr unſer Kind. Ach, ”leider! wir wußten nicht, daß ſie ſchon unwieder- ”bringlich ungluͤcklich war. Jn den erſten Tagen ”ihres Anfenthalts in dieſem Hauſe, war der junge ”Herr ſelbſt, unter dem Vorwande Arbeit zu beſtel- ”len, dahin gekommen, er hatte meine Tochter geſe- ”hen,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0111" n="103"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ”ten Unſchuld ſo wenig ruͤhrt, als den Schlaͤchter das<lb/> ”Bloͤken des Lamms, dem er die Kehle abſchneiden<lb/> ”will. Mit dieſem hat der ſchaͤndliche Unterhaͤndler<lb/> ”vermuthlich den abſcheulichen Entwurf ins Reine ge-<lb/> ”bracht, mich und mein Kind ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen.<lb/> ”Er fuͤhrte meine Tochter, in Geſellſchaft ihrer Mut-<lb/> ”ter, zu ſeiner Muhme, wie er ſagte, einer Matrone,<lb/> ”die ausgenaͤhte Arbeit verfertigte, und verfertigen<lb/> ”ließ. Sie ſchien mit meiner Tochter Arbeit zufrie-<lb/> ”den, zeigte ihr aber noch feinere, und gab ihr zu<lb/> ”verſtehen, daß ſie dergleichen von ihr wolle verferti-<lb/> ”gen laſſen, daß ſie ihr mehrere Vortheile dabey zei-<lb/> ”gen wolle, nur muͤſſe ſie unter ihren Augen arbei-<lb/> ”ten. Mein Kind freute ſich, mehr lernen zu koͤn-<lb/> ”nen, und wir fanden kein Bedenken, ſie in das<lb/> ”Haus einer Matrone zu ſchicken, bey der alles ein<lb/> ”frommes und verſtaͤndiges Anſehen hatte. Sie gieng<lb/> ”einige Monathe lang taͤglich in dieß Haus. Sie nahm<lb/> ”an Geſchicklichkeit zu, und wir glaubten, dieſe Be-<lb/> ”kanntſchaft waͤre ein Gluͤck fuͤr unſer Kind. Ach,<lb/> ”leider! wir wußten nicht, daß ſie ſchon unwieder-<lb/> ”bringlich ungluͤcklich war. Jn den erſten Tagen<lb/> ”ihres Anfenthalts in dieſem Hauſe, war der junge<lb/> ”Herr ſelbſt, unter dem Vorwande Arbeit zu beſtel-<lb/> ”len, dahin gekommen, er hatte meine Tochter geſe-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">”hen,</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0111]
”ten Unſchuld ſo wenig ruͤhrt, als den Schlaͤchter das
”Bloͤken des Lamms, dem er die Kehle abſchneiden
”will. Mit dieſem hat der ſchaͤndliche Unterhaͤndler
”vermuthlich den abſcheulichen Entwurf ins Reine ge-
”bracht, mich und mein Kind ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen.
”Er fuͤhrte meine Tochter, in Geſellſchaft ihrer Mut-
”ter, zu ſeiner Muhme, wie er ſagte, einer Matrone,
”die ausgenaͤhte Arbeit verfertigte, und verfertigen
”ließ. Sie ſchien mit meiner Tochter Arbeit zufrie-
”den, zeigte ihr aber noch feinere, und gab ihr zu
”verſtehen, daß ſie dergleichen von ihr wolle verferti-
”gen laſſen, daß ſie ihr mehrere Vortheile dabey zei-
”gen wolle, nur muͤſſe ſie unter ihren Augen arbei-
”ten. Mein Kind freute ſich, mehr lernen zu koͤn-
”nen, und wir fanden kein Bedenken, ſie in das
”Haus einer Matrone zu ſchicken, bey der alles ein
”frommes und verſtaͤndiges Anſehen hatte. Sie gieng
”einige Monathe lang taͤglich in dieß Haus. Sie nahm
”an Geſchicklichkeit zu, und wir glaubten, dieſe Be-
”kanntſchaft waͤre ein Gluͤck fuͤr unſer Kind. Ach,
”leider! wir wußten nicht, daß ſie ſchon unwieder-
”bringlich ungluͤcklich war. Jn den erſten Tagen
”ihres Anfenthalts in dieſem Hauſe, war der junge
”Herr ſelbſt, unter dem Vorwande Arbeit zu beſtel-
”len, dahin gekommen, er hatte meine Tochter geſe-
”hen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |