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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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digt haben: Sterbet freudig für das Vaterland,
noch Wilhelmine ihn dazu würde haben ermuntern
wollen.

Dritter Abschnitt.

Jndessen erscholl die Nachricht von Sebaldus Pre-
digt und von ihren Folgen, bald bis in die fürstli-
che Residenzstadt. Sebaldus hatte im Consistorium
zwey sehr mächtige Feinde. Der eine war der Prä-
sident, der als ein Ehrenmitglied verschiedener deut-
schen und lateinischen Gesellschaften viele sehr fliessende
deutsche Reime, und viele sehr deutliche lateinische
Chronodistichen verfertigte. Alle am fürstlichen Hofe
vorfallende Galatage, alle Landplagen, als Heu-
schrecken, Hagel, feindliche Einfälle, alle Promo-
tionen der ihm untergebenen Conrectoren, und Landpre-
diger, besang seine Muse ungesäumt. Wilhelmine
war eine viel zu feine Kennerin der schönen Wissen-
schaften, als daß sie sich dem falschen Geschmacke, der
in ihrem Vaterländchen beschützt ward, nicht hätte wider-
setzen sollen. Sie sprach bey jeder Gelegenheit von den
deutschen Versen des Präsidenten überaus verächtlich,
und seine lateinische Chronodistichen, wenn sie sie auch

und
C 2



digt haben: Sterbet freudig fuͤr das Vaterland,
noch Wilhelmine ihn dazu wuͤrde haben ermuntern
wollen.

Dritter Abſchnitt.

Jndeſſen erſcholl die Nachricht von Sebaldus Pre-
digt und von ihren Folgen, bald bis in die fuͤrſtli-
che Reſidenzſtadt. Sebaldus hatte im Conſiſtorium
zwey ſehr maͤchtige Feinde. Der eine war der Praͤ-
ſident, der als ein Ehrenmitglied verſchiedener deut-
ſchen und lateiniſchen Geſellſchaften viele ſehr flieſſende
deutſche Reime, und viele ſehr deutliche lateiniſche
Chronodiſtichen verfertigte. Alle am fuͤrſtlichen Hofe
vorfallende Galatage, alle Landplagen, als Heu-
ſchrecken, Hagel, feindliche Einfaͤlle, alle Promo-
tionen der ihm untergebenen Conrectoren, und Landpre-
diger, beſang ſeine Muſe ungeſaͤumt. Wilhelmine
war eine viel zu feine Kennerin der ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften, als daß ſie ſich dem falſchen Geſchmacke, der
in ihrem Vaterlaͤndchen beſchuͤtzt ward, nicht haͤtte wider-
ſetzen ſollen. Sie ſprach bey jeder Gelegenheit von den
deutſchen Verſen des Praͤſidenten uͤberaus veraͤchtlich,
und ſeine lateiniſche Chronodiſtichen, wenn ſie ſie auch

und
C 2
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[35/0055] digt haben: Sterbet freudig fuͤr das Vaterland, noch Wilhelmine ihn dazu wuͤrde haben ermuntern wollen. Dritter Abſchnitt. Jndeſſen erſcholl die Nachricht von Sebaldus Pre- digt und von ihren Folgen, bald bis in die fuͤrſtli- che Reſidenzſtadt. Sebaldus hatte im Conſiſtorium zwey ſehr maͤchtige Feinde. Der eine war der Praͤ- ſident, der als ein Ehrenmitglied verſchiedener deut- ſchen und lateiniſchen Geſellſchaften viele ſehr flieſſende deutſche Reime, und viele ſehr deutliche lateiniſche Chronodiſtichen verfertigte. Alle am fuͤrſtlichen Hofe vorfallende Galatage, alle Landplagen, als Heu- ſchrecken, Hagel, feindliche Einfaͤlle, alle Promo- tionen der ihm untergebenen Conrectoren, und Landpre- diger, beſang ſeine Muſe ungeſaͤumt. Wilhelmine war eine viel zu feine Kennerin der ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften, als daß ſie ſich dem falſchen Geſchmacke, der in ihrem Vaterlaͤndchen beſchuͤtzt ward, nicht haͤtte wider- ſetzen ſollen. Sie ſprach bey jeder Gelegenheit von den deutſchen Verſen des Praͤſidenten uͤberaus veraͤchtlich, und ſeine lateiniſche Chronodiſtichen, wenn ſie ſie auch und C 2

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/55>, abgerufen am 24.11.2024.