schmeichelhafte Hofnung in seiner Seele erreget hatte, und dies zog das Band der angefangenen Bekannt- schaft noch fester zusammen.
Mariane, auf ihrer Seite sahe ihn auch gern; denn er war ein feiner und bescheidener junger Mensch, der sie mit den schönen Wissenschaften, zu denen ihr die Neigung mit der Muttermilch war eingeflößt wor- den, angenehm unterhielt; ausserdem war er die erste Mannsperson, der ihr gesagt hatte daß sie schön sey, und daß ihre blauen Augen mit sanfter herzrührender Kraft wirkten, und auch das sittsamste und philosophischste Frauenzimmer pflegt eine solche Nachricht, aufs höchste mit einem kleinen Verweise zu bestrafen.
Die Kenner wollen bemerkt haben, daß die Vereinigung zwischen zwey jungen Personen zweyerley Geschlechts selten ganz stille stehen bleibe, und nicht allein beständig unvermerkt fortzurücken pflege, sondern auch zuweilen, durch einen ganz klei- nen Umstand, mit einem so starken Sprunge fort- schreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding, das menschliche Herz, nicht genau bekannt ist, glau- ben, es geschehe durch eine Art von Zauberey. Dies war der Fall mit Säuglingen und Marianen, die bey einer unvermutheten, und dem Anscheine nach, ganz geringen Veranlassung, von einer bloßen Be-
kannt-
Erster Theil. N
ſchmeichelhafte Hofnung in ſeiner Seele erreget hatte, und dies zog das Band der angefangenen Bekannt- ſchaft noch feſter zuſammen.
Mariane, auf ihrer Seite ſahe ihn auch gern; denn er war ein feiner und beſcheidener junger Menſch, der ſie mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, zu denen ihr die Neigung mit der Muttermilch war eingefloͤßt wor- den, angenehm unterhielt; auſſerdem war er die erſte Mannsperſon, der ihr geſagt hatte daß ſie ſchoͤn ſey, und daß ihre blauen Augen mit ſanfter herzruͤhrender Kraft wirkten, und auch das ſittſamſte und philoſophiſchſte Frauenzimmer pflegt eine ſolche Nachricht, aufs hoͤchſte mit einem kleinen Verweiſe zu beſtrafen.
Die Kenner wollen bemerkt haben, daß die Vereinigung zwiſchen zwey jungen Perſonen zweyerley Geſchlechts ſelten ganz ſtille ſtehen bleibe, und nicht allein beſtaͤndig unvermerkt fortzuruͤcken pflege, ſondern auch zuweilen, durch einen ganz klei- nen Umſtand, mit einem ſo ſtarken Sprunge fort- ſchreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding, das menſchliche Herz, nicht genau bekannt iſt, glau- ben, es geſchehe durch eine Art von Zauberey. Dies war der Fall mit Saͤuglingen und Marianen, die bey einer unvermutheten, und dem Anſcheine nach, ganz geringen Veranlaſſung, von einer bloßen Be-
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[193/0219]
ſchmeichelhafte Hofnung in ſeiner Seele erreget hatte,
und dies zog das Band der angefangenen Bekannt-
ſchaft noch feſter zuſammen.
Mariane, auf ihrer Seite ſahe ihn auch gern;
denn er war ein feiner und beſcheidener junger Menſch,
der ſie mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, zu denen ihr
die Neigung mit der Muttermilch war eingefloͤßt wor-
den, angenehm unterhielt; auſſerdem war er die erſte
Mannsperſon, der ihr geſagt hatte daß ſie ſchoͤn ſey, und
daß ihre blauen Augen mit ſanfter herzruͤhrender Kraft
wirkten, und auch das ſittſamſte und philoſophiſchſte
Frauenzimmer pflegt eine ſolche Nachricht, aufs
hoͤchſte mit einem kleinen Verweiſe zu beſtrafen.
Die Kenner wollen bemerkt haben, daß
die Vereinigung zwiſchen zwey jungen Perſonen
zweyerley Geſchlechts ſelten ganz ſtille ſtehen bleibe,
und nicht allein beſtaͤndig unvermerkt fortzuruͤcken
pflege, ſondern auch zuweilen, durch einen ganz klei-
nen Umſtand, mit einem ſo ſtarken Sprunge fort-
ſchreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding,
das menſchliche Herz, nicht genau bekannt iſt, glau-
ben, es geſchehe durch eine Art von Zauberey. Dies
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/219>, abgerufen am 22.07.2024.
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