Mund und Magen auf eine lange Zeit hinaus genug zu haben.
Aber dies Zugreifen konnte nicht von Seiten der städtischen Behörden, sondern mußte von der Commandantur ausgehen und auf militairischen Fuß betrieben werden. Jch nahm also meine Verzeichnisse in die Hand; gieng zu Loucadou; legte ihm Ein Papier nach dem Andern vor, und bat ihn, schleunige Anstalten zu treffen, daß diese Vorräthe, gegen Ertheilung von Empfang- scheinen, in die Festung geschafft würden. Denn wenn der Feind sich über kurz oder lang näherte und diese Ortschaften besetzte, so würde ohnehin Alles von ihm geraubt und sein Unterhalt da- durch erleichtert werden. Auf diese gutgemeynte Vorstellung ward ich jedoch von dem Herrn Obri- sten hart angelassen; und er erklärte mir kurz- weg: "Zu dergleichen Gewaltschritten sey er nicht authorisirt. Jeder möge für sich selbst sorgen. Was seine Soldaten anbeträfe, so wäre Mehl zu Brodt in den Magazinen vorhanden." -- "Aber" -- wandte ich ihm ein -- "der Mensch lebt nicht vom Brodte allein. Jhr Mehl liegt in Fachwerksspeichern; und die Magazine stehen Alle an Einer Stelle zusammengehäuft und dem feindlichen Geschütze ausgesetzt. Die erste Gra- nate, die hineinfällt, kann ihr Untergang werden. Wäre es nicht sicherer, diese Vorräthe in andre und mehrere Gebäude zu vertheilen?" -- "Pah! pah!" war seine Antwort -- "Die Bürgerschaft
3. Bändchen. (4)
Mund und Magen auf eine lange Zeit hinaus genug zu haben.
Aber dies Zugreifen konnte nicht von Seiten der ſtaͤdtiſchen Behoͤrden, ſondern mußte von der Commandantur ausgehen und auf militairiſchen Fuß betrieben werden. Jch nahm alſo meine Verzeichniſſe in die Hand; gieng zu Loucadou; legte ihm Ein Papier nach dem Andern vor, und bat ihn, ſchleunige Anſtalten zu treffen, daß dieſe Vorraͤthe, gegen Ertheilung von Empfang- ſcheinen, in die Feſtung geſchafft wuͤrden. Denn wenn der Feind ſich uͤber kurz oder lang naͤherte und dieſe Ortſchaften beſetzte, ſo wuͤrde ohnehin Alles von ihm geraubt und ſein Unterhalt da- durch erleichtert werden. Auf dieſe gutgemeynte Vorſtellung ward ich jedoch von dem Herrn Obri- ſten hart angelaſſen; und er erklaͤrte mir kurz- weg: „Zu dergleichen Gewaltſchritten ſey er nicht authoriſirt. Jeder moͤge fuͤr ſich ſelbſt ſorgen. Was ſeine Soldaten anbetraͤfe, ſo waͤre Mehl zu Brodt in den Magazinen vorhanden.‟ — „Aber‟ — wandte ich ihm ein — „der Menſch lebt nicht vom Brodte allein. Jhr Mehl liegt in Fachwerksſpeichern; und die Magazine ſtehen Alle an Einer Stelle zuſammengehaͤuft und dem feindlichen Geſchuͤtze ausgeſetzt. Die erſte Gra- nate, die hineinfaͤllt, kann ihr Untergang werden. Waͤre es nicht ſicherer, dieſe Vorraͤthe in andre und mehrere Gebaͤude zu vertheilen?‟ — „Pah! pah!‟ war ſeine Antwort — „Die Buͤrgerſchaft
3. Baͤndchen. (4)
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Mund und Magen auf eine lange Zeit hinaus
genug zu haben.
Aber dies Zugreifen konnte nicht von Seiten
der ſtaͤdtiſchen Behoͤrden, ſondern mußte von der
Commandantur ausgehen und auf militairiſchen
Fuß betrieben werden. Jch nahm alſo meine
Verzeichniſſe in die Hand; gieng zu Loucadou;
legte ihm Ein Papier nach dem Andern vor, und
bat ihn, ſchleunige Anſtalten zu treffen, daß
dieſe Vorraͤthe, gegen Ertheilung von Empfang-
ſcheinen, in die Feſtung geſchafft wuͤrden. Denn
wenn der Feind ſich uͤber kurz oder lang naͤherte
und dieſe Ortſchaften beſetzte, ſo wuͤrde ohnehin
Alles von ihm geraubt und ſein Unterhalt da-
durch erleichtert werden. Auf dieſe gutgemeynte
Vorſtellung ward ich jedoch von dem Herrn Obri-
ſten hart angelaſſen; und er erklaͤrte mir kurz-
weg: „Zu dergleichen Gewaltſchritten ſey er nicht
authoriſirt. Jeder moͤge fuͤr ſich ſelbſt ſorgen.
Was ſeine Soldaten anbetraͤfe, ſo waͤre Mehl
zu Brodt in den Magazinen vorhanden.‟ —
„Aber‟ — wandte ich ihm ein — „der Menſch
lebt nicht vom Brodte allein. Jhr Mehl liegt
in Fachwerksſpeichern; und die Magazine ſtehen
Alle an Einer Stelle zuſammengehaͤuft und dem
feindlichen Geſchuͤtze ausgeſetzt. Die erſte Gra-
nate, die hineinfaͤllt, kann ihr Untergang werden.
Waͤre es nicht ſicherer, dieſe Vorraͤthe in andre
und mehrere Gebaͤude zu vertheilen?‟ — „Pah!
pah!‟ war ſeine Antwort — „Die Buͤrgerſchaft
3. Baͤndchen. (4)
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/65>, abgerufen am 16.02.2025.
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