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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

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nemlich ein städtisches Collegium, welches aus
fünf Kaufleuten und drei der angesehensten Schif-
fer besteht und das Seegericht bildet, vor welchem
alle Schiffahrtssachen, sowohl nach dem Preuß.
Seerecht, als nach den Usanzen, in erster Jnstanz
entschieden werden. Diese Auszeichnung konnte
und wollte ich nicht von mir zurückweisen; und
so geschah es denn, daß gleich in der zweiten oder
dritten Session ein Schiffer, vom Colberger Deep
gebürtig, und ein Steuermann, ebendaher, auf-
gefordert wurden, ein Protokoll zu unterzeichnen.
Der Schiffer kratzte seinen Namen mit Noth und
Mühe auf das Papier; sein Gefährte aber er-
klärte, daß er des Schreibens völlig unkundig
sey, und begnügte sich, seine drei Kreuze hinzu-
malen, wobei ihm die große Brodtschnitte, die er
zu seiner Beköstigung zu sich gesteckt, beinahe
aus dem Busen entfallen wäre.

Jch kann nicht läugnen, daß ich mich hier-
bei tief in die Seele dieser ehemaligen Standes-
genossen schämte. Weß das Herz voll war, deß
gieng auch der Mund über; und so bat ich meine
Herren Beisitzer, es doch reiflich zu Herzen zu
nehmen, wie schlechte Ehre wir Preussen einleg-
ten, wenn so oft Landsleute von diesem Schnitt
vor einem auswärtigen Seegericht ständen, und
was für Gedanken Holländer und Engländer
wohl von unserm Seewesen fassen möchten? Das
Wenigste wäre, daß fremde Handelsleute sich auf
alle Weise hüten würden, solchen unwissenden

nemlich ein ſtaͤdtiſches Collegium, welches aus
fuͤnf Kaufleuten und drei der angeſehenſten Schif-
fer beſteht und das Seegericht bildet, vor welchem
alle Schiffahrtsſachen, ſowohl nach dem Preuß.
Seerecht, als nach den Uſanzen, in erſter Jnſtanz
entſchieden werden. Dieſe Auszeichnung konnte
und wollte ich nicht von mir zuruͤckweiſen; und
ſo geſchah es denn, daß gleich in der zweiten oder
dritten Seſſion ein Schiffer, vom Colberger Deep
gebuͤrtig, und ein Steuermann, ebendaher, auf-
gefordert wurden, ein Protokoll zu unterzeichnen.
Der Schiffer kratzte ſeinen Namen mit Noth und
Muͤhe auf das Papier; ſein Gefaͤhrte aber er-
klaͤrte, daß er des Schreibens voͤllig unkundig
ſey, und begnuͤgte ſich, ſeine drei Kreuze hinzu-
malen, wobei ihm die große Brodtſchnitte, die er
zu ſeiner Bekoͤſtigung zu ſich geſteckt, beinahe
aus dem Buſen entfallen waͤre.

Jch kann nicht laͤugnen, daß ich mich hier-
bei tief in die Seele dieſer ehemaligen Standes-
genoſſen ſchaͤmte. Weß das Herz voll war, deß
gieng auch der Mund uͤber; und ſo bat ich meine
Herren Beiſitzer, es doch reiflich zu Herzen zu
nehmen, wie ſchlechte Ehre wir Preuſſen einleg-
ten, wenn ſo oft Landsleute von dieſem Schnitt
vor einem auswaͤrtigen Seegericht ſtaͤnden, und
was fuͤr Gedanken Hollaͤnder und Englaͤnder
wohl von unſerm Seeweſen faſſen moͤchten? Das
Wenigſte waͤre, daß fremde Handelsleute ſich auf
alle Weiſe huͤten wuͤrden, ſolchen unwiſſenden

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[24/0040] nemlich ein ſtaͤdtiſches Collegium, welches aus fuͤnf Kaufleuten und drei der angeſehenſten Schif- fer beſteht und das Seegericht bildet, vor welchem alle Schiffahrtsſachen, ſowohl nach dem Preuß. Seerecht, als nach den Uſanzen, in erſter Jnſtanz entſchieden werden. Dieſe Auszeichnung konnte und wollte ich nicht von mir zuruͤckweiſen; und ſo geſchah es denn, daß gleich in der zweiten oder dritten Seſſion ein Schiffer, vom Colberger Deep gebuͤrtig, und ein Steuermann, ebendaher, auf- gefordert wurden, ein Protokoll zu unterzeichnen. Der Schiffer kratzte ſeinen Namen mit Noth und Muͤhe auf das Papier; ſein Gefaͤhrte aber er- klaͤrte, daß er des Schreibens voͤllig unkundig ſey, und begnuͤgte ſich, ſeine drei Kreuze hinzu- malen, wobei ihm die große Brodtſchnitte, die er zu ſeiner Bekoͤſtigung zu ſich geſteckt, beinahe aus dem Buſen entfallen waͤre. Jch kann nicht laͤugnen, daß ich mich hier- bei tief in die Seele dieſer ehemaligen Standes- genoſſen ſchaͤmte. Weß das Herz voll war, deß gieng auch der Mund uͤber; und ſo bat ich meine Herren Beiſitzer, es doch reiflich zu Herzen zu nehmen, wie ſchlechte Ehre wir Preuſſen einleg- ten, wenn ſo oft Landsleute von dieſem Schnitt vor einem auswaͤrtigen Seegericht ſtaͤnden, und was fuͤr Gedanken Hollaͤnder und Englaͤnder wohl von unſerm Seeweſen faſſen moͤchten? Das Wenigſte waͤre, daß fremde Handelsleute ſich auf alle Weiſe huͤten wuͤrden, ſolchen unwiſſenden

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/40>, abgerufen am 24.04.2024.