Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Weil denn aber an dieser bösen Stelle nichts aus-
zurichten war, mußte besserer Rath geschafft und
vom Thorschreiber eine Leine herbeigeholt werden,
die wir um die todten Körper schlangen, und
womit wir sie nach einer zugänglichern Stelle zo-
gen, bis sie denn endlich glücklich aufs Trockne
gebracht wurden.

Darüber war es Abend geworden, und mein
Freund, der nunmehr nach Hause zu eilen hatte,
überließ mir die Sorge, die Todten vollends an
einen schicklichen Ort zu schaffen. Mir fiel die
Kalkkammer der St. Georgenkirche auf der Vor-
stadt bei, wo sie fürerst niedergelegt werden konn-
ten, um nach den Feiertagen christlich beerdigt
zu werden. Aber ehe sie dahin gelangten, mußte
ein Bauer, der noch spät mit seinem Fuhrwerk
aus der Stadt kam, von der Thorwache ange-
halten und, halb in der Güte, halb mit Gewalt
bewogen werden, sie bis dahin aufzuladen. Selbst
der Küster, den ich herauspochte, machte eine
bedenkliche Miene, ihnen das Plätzchen zu gön-
nen, und griff nur erst nach den Kirchenschlüsseln,
als ich mir's herausnahm, mit einem Wörtchen
von Absetzung zu drohen. Zuletzt stattete ich von
Allem schuldigen Bericht bei der Obrigkeit ab,
und erhielt herzlichen Dank zum Lohn. Mehr
verlangte ich auch nicht; und selbst um diesen
wäre mir's kaum zu thun gewesen. Mehr aber
freut mich's, daß seitdem die Zeiten auch in je-
nem schändlichen Vorurtheil sich ganz umgewan-

(2 *)

Weil denn aber an dieſer boͤſen Stelle nichts aus-
zurichten war, mußte beſſerer Rath geſchafft und
vom Thorſchreiber eine Leine herbeigeholt werden,
die wir um die todten Koͤrper ſchlangen, und
womit wir ſie nach einer zugaͤnglichern Stelle zo-
gen, bis ſie denn endlich gluͤcklich aufs Trockne
gebracht wurden.

Daruͤber war es Abend geworden, und mein
Freund, der nunmehr nach Hauſe zu eilen hatte,
uͤberließ mir die Sorge, die Todten vollends an
einen ſchicklichen Ort zu ſchaffen. Mir fiel die
Kalkkammer der St. Georgenkirche auf der Vor-
ſtadt bei, wo ſie fuͤrerſt niedergelegt werden konn-
ten, um nach den Feiertagen chriſtlich beerdigt
zu werden. Aber ehe ſie dahin gelangten, mußte
ein Bauer, der noch ſpaͤt mit ſeinem Fuhrwerk
aus der Stadt kam, von der Thorwache ange-
halten und, halb in der Guͤte, halb mit Gewalt
bewogen werden, ſie bis dahin aufzuladen. Selbſt
der Kuͤſter, den ich herauspochte, machte eine
bedenkliche Miene, ihnen das Plaͤtzchen zu goͤn-
nen, und griff nur erſt nach den Kirchenſchluͤſſeln,
als ich mir’s herausnahm, mit einem Woͤrtchen
von Abſetzung zu drohen. Zuletzt ſtattete ich von
Allem ſchuldigen Bericht bei der Obrigkeit ab,
und erhielt herzlichen Dank zum Lohn. Mehr
verlangte ich auch nicht; und ſelbſt um dieſen
waͤre mir’s kaum zu thun geweſen. Mehr aber
freut mich’s, daß ſeitdem die Zeiten auch in je-
nem ſchaͤndlichen Vorurtheil ſich ganz umgewan-

(2 *)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="19"/>
Weil denn aber an die&#x017F;er bo&#x0364;&#x017F;en Stelle nichts aus-<lb/>
zurichten war, mußte be&#x017F;&#x017F;erer Rath ge&#x017F;chafft und<lb/>
vom Thor&#x017F;chreiber eine Leine herbeigeholt werden,<lb/>
die wir um die todten Ko&#x0364;rper &#x017F;chlangen, und<lb/>
womit wir &#x017F;ie nach einer zuga&#x0364;nglichern Stelle zo-<lb/>
gen, bis &#x017F;ie denn endlich glu&#x0364;cklich aufs Trockne<lb/>
gebracht wurden.</p><lb/>
        <p>Daru&#x0364;ber war es Abend geworden, und mein<lb/>
Freund, der nunmehr nach Hau&#x017F;e zu eilen hatte,<lb/>
u&#x0364;berließ mir die Sorge, die Todten vollends an<lb/>
einen &#x017F;chicklichen Ort zu &#x017F;chaffen. Mir fiel die<lb/>
Kalkkammer der St. Georgenkirche auf der Vor-<lb/>
&#x017F;tadt bei, wo &#x017F;ie fu&#x0364;rer&#x017F;t niedergelegt werden konn-<lb/>
ten, um nach den Feiertagen chri&#x017F;tlich beerdigt<lb/>
zu werden. Aber ehe &#x017F;ie dahin gelangten, mußte<lb/>
ein Bauer, der noch &#x017F;pa&#x0364;t mit &#x017F;einem Fuhrwerk<lb/>
aus der Stadt kam, von der Thorwache ange-<lb/>
halten und, halb in der Gu&#x0364;te, halb mit Gewalt<lb/>
bewogen werden, &#x017F;ie bis dahin aufzuladen. Selb&#x017F;t<lb/>
der Ku&#x0364;&#x017F;ter, den ich herauspochte, machte eine<lb/>
bedenkliche Miene, ihnen das Pla&#x0364;tzchen zu go&#x0364;n-<lb/>
nen, und griff nur er&#x017F;t nach den Kirchen&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln,<lb/>
als ich mir&#x2019;s herausnahm, mit einem Wo&#x0364;rtchen<lb/>
von Ab&#x017F;etzung zu drohen. Zuletzt &#x017F;tattete ich von<lb/>
Allem &#x017F;chuldigen Bericht bei der Obrigkeit ab,<lb/>
und erhielt herzlichen Dank zum Lohn. Mehr<lb/>
verlangte ich auch nicht; und &#x017F;elb&#x017F;t um <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi><lb/>
wa&#x0364;re mir&#x2019;s kaum zu thun gewe&#x017F;en. Mehr aber<lb/>
freut mich&#x2019;s, daß &#x017F;eitdem die Zeiten auch in je-<lb/>
nem &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Vorurtheil &#x017F;ich ganz umgewan-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(2 *)</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0035] Weil denn aber an dieſer boͤſen Stelle nichts aus- zurichten war, mußte beſſerer Rath geſchafft und vom Thorſchreiber eine Leine herbeigeholt werden, die wir um die todten Koͤrper ſchlangen, und womit wir ſie nach einer zugaͤnglichern Stelle zo- gen, bis ſie denn endlich gluͤcklich aufs Trockne gebracht wurden. Daruͤber war es Abend geworden, und mein Freund, der nunmehr nach Hauſe zu eilen hatte, uͤberließ mir die Sorge, die Todten vollends an einen ſchicklichen Ort zu ſchaffen. Mir fiel die Kalkkammer der St. Georgenkirche auf der Vor- ſtadt bei, wo ſie fuͤrerſt niedergelegt werden konn- ten, um nach den Feiertagen chriſtlich beerdigt zu werden. Aber ehe ſie dahin gelangten, mußte ein Bauer, der noch ſpaͤt mit ſeinem Fuhrwerk aus der Stadt kam, von der Thorwache ange- halten und, halb in der Guͤte, halb mit Gewalt bewogen werden, ſie bis dahin aufzuladen. Selbſt der Kuͤſter, den ich herauspochte, machte eine bedenkliche Miene, ihnen das Plaͤtzchen zu goͤn- nen, und griff nur erſt nach den Kirchenſchluͤſſeln, als ich mir’s herausnahm, mit einem Woͤrtchen von Abſetzung zu drohen. Zuletzt ſtattete ich von Allem ſchuldigen Bericht bei der Obrigkeit ab, und erhielt herzlichen Dank zum Lohn. Mehr verlangte ich auch nicht; und ſelbſt um dieſen waͤre mir’s kaum zu thun geweſen. Mehr aber freut mich’s, daß ſeitdem die Zeiten auch in je- nem ſchaͤndlichen Vorurtheil ſich ganz umgewan- (2 *)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/35
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/35>, abgerufen am 07.10.2024.