Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er
früherhin, bei all seinem überbrausenden Muthe,
den schwachen Loucadou nicht besser in Athem zu
setzen versucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm
in's Angesicht, diese unzeitige Nachgiebigkeit:
aber er wußte mich immer wieder zu begütigen,
indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe-
stehendem Subordinations-Verhältniß, durch offne
Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert
als gefördert worden wäre?

Erobert war die Schanze allerdings: hätte
sie nur auch länger, als wenige Augenblicke, be-
hauptet werden können! Eine neue feindliche
Colonne, entschlossen, ihres Heerführers Tod zu
rächen und des verlornen Postens um jeden Preis
wieder Herr zu werden, rückte unverzüglich her-
an. Das Gefecht begann wiederum und ward,
bei der überlegenen Zahl der Angreifenden, bald
so ungleich, daß keine andre Wahl übrig blieb,
als uns fechtend in die Stadt zurückzuziehen. --
Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und
Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete
gehabt; und nur mit harter Mühe war mir's ge-
lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen
zeigte ich mich, mit einem weissen Tuche an mei-
nen Stock befestigt, als Parlementair den feind-
lichen Vorposten nächst jener Schanze und bat
um die Vergünstigung, unsre noch umherliegende
Todte aufsammlen zu dürfen. Das bedurfte, wie
gewöhnlich, endloser Formalitäten; doch erreichte

dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er
fruͤherhin, bei all ſeinem uͤberbrauſenden Muthe,
den ſchwachen Loucadou nicht beſſer in Athem zu
ſetzen verſucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm
in’s Angeſicht, dieſe unzeitige Nachgiebigkeit:
aber er wußte mich immer wieder zu beguͤtigen,
indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe-
ſtehendem Subordinations-Verhaͤltniß, durch offne
Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert
als gefoͤrdert worden waͤre?

Erobert war die Schanze allerdings: haͤtte
ſie nur auch laͤnger, als wenige Augenblicke, be-
hauptet werden koͤnnen! Eine neue feindliche
Colonne, entſchloſſen, ihres Heerfuͤhrers Tod zu
raͤchen und des verlornen Poſtens um jeden Preis
wieder Herr zu werden, ruͤckte unverzuͤglich her-
an. Das Gefecht begann wiederum und ward,
bei der uͤberlegenen Zahl der Angreifenden, bald
ſo ungleich, daß keine andre Wahl uͤbrig blieb,
als uns fechtend in die Stadt zuruͤckzuziehen. —
Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und
Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete
gehabt; und nur mit harter Muͤhe war mir’s ge-
lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen
zeigte ich mich, mit einem weiſſen Tuche an mei-
nen Stock befeſtigt, als Parlementair den feind-
lichen Vorpoſten naͤchſt jener Schanze und bat
um die Verguͤnſtigung, unſre noch umherliegende
Todte aufſammlen zu duͤrfen. Das bedurfte, wie
gewoͤhnlich, endloſer Formalitaͤten; doch erreichte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="135"/>
dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er<lb/>
fru&#x0364;herhin, bei all &#x017F;einem u&#x0364;berbrau&#x017F;enden Muthe,<lb/>
den &#x017F;chwachen Loucadou nicht be&#x017F;&#x017F;er in Athem zu<lb/>
&#x017F;etzen ver&#x017F;ucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm<lb/>
in&#x2019;s Ange&#x017F;icht, die&#x017F;e unzeitige Nachgiebigkeit:<lb/>
aber er wußte mich immer wieder zu begu&#x0364;tigen,<lb/>
indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe-<lb/>
&#x017F;tehendem Subordinations-Verha&#x0364;ltniß, durch offne<lb/>
Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert<lb/>
als gefo&#x0364;rdert worden wa&#x0364;re?</p><lb/>
        <p>Erobert war die Schanze allerdings: ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ie nur auch la&#x0364;nger, als wenige Augenblicke, be-<lb/>
hauptet werden ko&#x0364;nnen! Eine neue feindliche<lb/>
Colonne, ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, ihres Heerfu&#x0364;hrers Tod zu<lb/>
ra&#x0364;chen und des verlornen Po&#x017F;tens um jeden Preis<lb/>
wieder Herr zu werden, ru&#x0364;ckte unverzu&#x0364;glich her-<lb/>
an. Das Gefecht begann wiederum und ward,<lb/>
bei der u&#x0364;berlegenen Zahl der Angreifenden, bald<lb/>
&#x017F;o ungleich, daß keine andre Wahl u&#x0364;brig blieb,<lb/>
als uns fechtend in die Stadt zuru&#x0364;ckzuziehen. &#x2014;<lb/>
Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und<lb/>
Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete<lb/>
gehabt; und nur mit harter Mu&#x0364;he war mir&#x2019;s ge-<lb/>
lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen<lb/>
zeigte ich mich, mit einem wei&#x017F;&#x017F;en Tuche an mei-<lb/>
nen Stock befe&#x017F;tigt, als Parlementair den feind-<lb/>
lichen Vorpo&#x017F;ten na&#x0364;ch&#x017F;t jener Schanze und bat<lb/>
um die Vergu&#x0364;n&#x017F;tigung, un&#x017F;re noch umherliegende<lb/>
Todte auf&#x017F;ammlen zu du&#x0364;rfen. Das bedurfte, wie<lb/>
gewo&#x0364;hnlich, endlo&#x017F;er Formalita&#x0364;ten; doch erreichte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0151] dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er fruͤherhin, bei all ſeinem uͤberbrauſenden Muthe, den ſchwachen Loucadou nicht beſſer in Athem zu ſetzen verſucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm in’s Angeſicht, dieſe unzeitige Nachgiebigkeit: aber er wußte mich immer wieder zu beguͤtigen, indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe- ſtehendem Subordinations-Verhaͤltniß, durch offne Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert als gefoͤrdert worden waͤre? Erobert war die Schanze allerdings: haͤtte ſie nur auch laͤnger, als wenige Augenblicke, be- hauptet werden koͤnnen! Eine neue feindliche Colonne, entſchloſſen, ihres Heerfuͤhrers Tod zu raͤchen und des verlornen Poſtens um jeden Preis wieder Herr zu werden, ruͤckte unverzuͤglich her- an. Das Gefecht begann wiederum und ward, bei der uͤberlegenen Zahl der Angreifenden, bald ſo ungleich, daß keine andre Wahl uͤbrig blieb, als uns fechtend in die Stadt zuruͤckzuziehen. — Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete gehabt; und nur mit harter Muͤhe war mir’s ge- lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen zeigte ich mich, mit einem weiſſen Tuche an mei- nen Stock befeſtigt, als Parlementair den feind- lichen Vorpoſten naͤchſt jener Schanze und bat um die Verguͤnſtigung, unſre noch umherliegende Todte aufſammlen zu duͤrfen. Das bedurfte, wie gewoͤhnlich, endloſer Formalitaͤten; doch erreichte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/151
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/151>, abgerufen am 22.11.2024.