sich der Wind in Nordwesten; und indem er zu einem fliegenden Sturm anwuchs, wurde das Schiff vom Anker getrieben; saß auch, ehe wir uns dessen versahen, auf einer Bank fest, wo die Sturzwogen un- aufhörlich über das Fahrzeug hinwegrollten und bis hoch an die Masten emporschäum- ten. Das Schiff war scharf im Kiel ge- baut; so oft daher eine Welle sich verlief, fiel es so tief auf die Seite, daß die Ma- sten beinahe das Wasser berührten. Gleich- wohl erhielt uns Gottes Barmherzigkeit, daß wir nicht vom Borde hinweggespült wurden. Diese ängstliche Lage dauerte wohl vier bis fünf Minuten, wo endlich eine besonders hohe und mächtige Welle uns hob und mit sich über die Bank hinüber schleuderte.
So gelangten wir zwar für den Augen- blick wieder in fahrbares Wasser: doch ehe wir noch Zeit hatten, uns unsrer Rettung zu freuen, jagte der Sturm unser Fahrzeug vollends auf den Strand, und die branden- den Wellen zogen auf's neue im schäumen- den Gebrause über das Verdeck und unsre Köpfe hinweg. Der Schiffer mit seinen beiden Leuten befand sich zufällig auf dem niedriger liegenden Hintertheile des Schiffs; während wir drei Passagiere uns vorne in der Höhe befanden und den Fockmast um-
ſich der Wind in Nordweſten; und indem er zu einem fliegenden Sturm anwuchs, wurde das Schiff vom Anker getrieben; ſaß auch, ehe wir uns deſſen verſahen, auf einer Bank feſt, wo die Sturzwogen un- aufhoͤrlich uͤber das Fahrzeug hinwegrollten und bis hoch an die Maſten emporſchaͤum- ten. Das Schiff war ſcharf im Kiel ge- baut; ſo oft daher eine Welle ſich verlief, fiel es ſo tief auf die Seite, daß die Ma- ſten beinahe das Waſſer beruͤhrten. Gleich- wohl erhielt uns Gottes Barmherzigkeit, daß wir nicht vom Borde hinweggeſpuͤlt wurden. Dieſe aͤngſtliche Lage dauerte wohl vier bis fuͤnf Minuten, wo endlich eine beſonders hohe und maͤchtige Welle uns hob und mit ſich uͤber die Bank hinuͤber ſchleuderte.
So gelangten wir zwar fuͤr den Augen- blick wieder in fahrbares Waſſer: doch ehe wir noch Zeit hatten, uns unſrer Rettung zu freuen, jagte der Sturm unſer Fahrzeug vollends auf den Strand, und die branden- den Wellen zogen auf’s neue im ſchaͤumen- den Gebrauſe uͤber das Verdeck und unſre Koͤpfe hinweg. Der Schiffer mit ſeinen beiden Leuten befand ſich zufaͤllig auf dem niedriger liegenden Hintertheile des Schiffs; waͤhrend wir drei Paſſagiere uns vorne in der Hoͤhe befanden und den Fockmaſt um-
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ſich der Wind in Nordweſten; und indem
er zu einem fliegenden Sturm anwuchs,
wurde das Schiff vom Anker getrieben;
ſaß auch, ehe wir uns deſſen verſahen, auf
einer Bank feſt, wo die Sturzwogen un-
aufhoͤrlich uͤber das Fahrzeug hinwegrollten
und bis hoch an die Maſten emporſchaͤum-
ten. Das Schiff war ſcharf im Kiel ge-
baut; ſo oft daher eine Welle ſich verlief,
fiel es ſo tief auf die Seite, daß die Ma-
ſten beinahe das Waſſer beruͤhrten. Gleich-
wohl erhielt uns Gottes Barmherzigkeit, daß
wir nicht vom Borde hinweggeſpuͤlt wurden.
Dieſe aͤngſtliche Lage dauerte wohl vier bis
fuͤnf Minuten, wo endlich eine beſonders hohe
und maͤchtige Welle uns hob und mit ſich
uͤber die Bank hinuͤber ſchleuderte.
So gelangten wir zwar fuͤr den Augen-
blick wieder in fahrbares Waſſer: doch ehe
wir noch Zeit hatten, uns unſrer Rettung
zu freuen, jagte der Sturm unſer Fahrzeug
vollends auf den Strand, und die branden-
den Wellen zogen auf’s neue im ſchaͤumen-
den Gebrauſe uͤber das Verdeck und unſre
Koͤpfe hinweg. Der Schiffer mit ſeinen
beiden Leuten befand ſich zufaͤllig auf dem
niedriger liegenden Hintertheile des Schiffs;
waͤhrend wir drei Paſſagiere uns vorne in
der Hoͤhe befanden und den Fockmaſt um-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/82>, abgerufen am 30.04.2024.
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