Deck, wo doch nicht jede Woge eine Ueber- schwemmung verursachte, und waren nun in der Nähe Zeugen von seinem jammervollen Geschick. Der Schlag des Segels hatte das linke Auge getroffen, welches weit aus dem Kopfe nur noch an einer schwachen Sehne hervorhieng. Das Blut drang zugleich aus Mund, Nase und Ohren. Aus der hohlen Brust stöhnte ein dumpfes Röcheln, ohne Spur eines Bewußtseyns. Trost- und rath- los schob ich ihm das hangende Auge in den Kopf zurück und band ihm mein Halstuch darüber. Um und neben ihm lagen nun ich, sein Sohn und noch ein getreuer Matrose in fester Umklammerung, um uns gegen die Gewalt der Sturzseen zu erhalten, und un- beweglich, bis gegen fünf Uhr Abends, da endlich unsre Ankertaue brachen und wir, bei halber Fluth, unaufhaltsam gegen den Strand getrieben wurden.
Endlich stieß das Schiff auf den Grund und hielt mit heftigen Stößen an, so lange das Wasser im Wachsen blieb. Erst als die Cbbe wieder eintrat, saß es völlig fest: aber nun brachen sich auch die rollenden Wellen mit solcher Macht dagegen, daß jede Ein- zelne darüber weg schlug und Schaum und Gischt die volle Höhe des Mastes emporge- wirbelt wurden. Allmählig brach auch das Gebäude in all seinen Fugen; und wir sahen
Deck, wo doch nicht jede Woge eine Ueber- ſchwemmung verurſachte, und waren nun in der Naͤhe Zeugen von ſeinem jammervollen Geſchick. Der Schlag des Segels hatte das linke Auge getroffen, welches weit aus dem Kopfe nur noch an einer ſchwachen Sehne hervorhieng. Das Blut drang zugleich aus Mund, Naſe und Ohren. Aus der hohlen Bruſt ſtoͤhnte ein dumpfes Roͤcheln, ohne Spur eines Bewußtſeyns. Troſt- und rath- los ſchob ich ihm das hangende Auge in den Kopf zuruͤck und band ihm mein Halstuch daruͤber. Um und neben ihm lagen nun ich, ſein Sohn und noch ein getreuer Matroſe in feſter Umklammerung, um uns gegen die Gewalt der Sturzſeen zu erhalten, und un- beweglich, bis gegen fuͤnf Uhr Abends, da endlich unſre Ankertaue brachen und wir, bei halber Fluth, unaufhaltſam gegen den Strand getrieben wurden.
Endlich ſtieß das Schiff auf den Grund und hielt mit heftigen Stoͤßen an, ſo lange das Waſſer im Wachſen blieb. Erſt als die Cbbe wieder eintrat, ſaß es voͤllig feſt: aber nun brachen ſich auch die rollenden Wellen mit ſolcher Macht dagegen, daß jede Ein- zelne daruͤber weg ſchlug und Schaum und Giſcht die volle Hoͤhe des Maſtes emporge- wirbelt wurden. Allmaͤhlig brach auch das Gebaͤude in all ſeinen Fugen; und wir ſahen
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Deck, wo doch nicht jede Woge eine Ueber-
ſchwemmung verurſachte, und waren nun in
der Naͤhe Zeugen von ſeinem jammervollen
Geſchick. Der Schlag des Segels hatte das
linke Auge getroffen, welches weit aus dem
Kopfe nur noch an einer ſchwachen Sehne
hervorhieng. Das Blut drang zugleich aus
Mund, Naſe und Ohren. Aus der hohlen
Bruſt ſtoͤhnte ein dumpfes Roͤcheln, ohne
Spur eines Bewußtſeyns. Troſt- und rath-
los ſchob ich ihm das hangende Auge in den
Kopf zuruͤck und band ihm mein Halstuch
daruͤber. Um und neben ihm lagen nun ich,
ſein Sohn und noch ein getreuer Matroſe
in feſter Umklammerung, um uns gegen die
Gewalt der Sturzſeen zu erhalten, und un-
beweglich, bis gegen fuͤnf Uhr Abends, da
endlich unſre Ankertaue brachen und wir, bei
halber Fluth, unaufhaltſam gegen den Strand
getrieben wurden.
Endlich ſtieß das Schiff auf den Grund
und hielt mit heftigen Stoͤßen an, ſo lange
das Waſſer im Wachſen blieb. Erſt als die
Cbbe wieder eintrat, ſaß es voͤllig feſt: aber
nun brachen ſich auch die rollenden Wellen
mit ſolcher Macht dagegen, daß jede Ein-
zelne daruͤber weg ſchlug und Schaum und
Giſcht die volle Hoͤhe des Maſtes emporge-
wirbelt wurden. Allmaͤhlig brach auch das
Gebaͤude in all ſeinen Fugen; und wir ſahen
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/61>, abgerufen am 25.11.2024.
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