rief er -- "ich brächt' euch Alle auf der Stelle nach Colberg zurück, und machte rein Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin ich euch abzuliefern habe." -- Zugleich ver- bot er seinen Leuten auf's strengste, sich um uns nicht zu kümmern und uns weder Essen noch Trinken zu reichen.
Zwar ward es mit diesem Befehl nicht so gar genau genommen, und unsre Freunde steckten uns immerfort etwas von ihren Mund- Portionen zu: allein da wir volle acht Tage in See blieben, so litten wir gleichwohl grau- samen Hunger und Durst, und waren darum von Herzen froh, als endlich die Anker im Danziger Fahrwasser fielen. Hier deutete der Schiffer seiner Mannschaft in unsrer Gegen- wart (und also auch wohl nicht ohne geheime Absicht) an: "Er gehe in diesem nemlichen Augenblick an Land und nach Danzig zum Preussischen Residenten, um ihm uns Deser- teurs anzumelden und uns in seine Hände zu überliefern. Bis dahin sollten sie uns an Bord festhalten und mit Leib und Leben für uns einstehen." Vergeblich wandten sie ihm ein: "Die Parthie sey gar zu ungleich, da Jhrer nur fünf Mann, wir aber zwölf Köpfe stark wären." -- "Was kümmert's mich?" war seine Antwort -- "Und wenn es auch Mord und Todtschlag giebt, so laßt sie nicht laufen!"
rief er — „ich braͤcht’ euch Alle auf der Stelle nach Colberg zuruͤck, und machte rein Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin ich euch abzuliefern habe.‟ — Zugleich ver- bot er ſeinen Leuten auf’s ſtrengſte, ſich um uns nicht zu kuͤmmern und uns weder Eſſen noch Trinken zu reichen.
Zwar ward es mit dieſem Befehl nicht ſo gar genau genommen, und unſre Freunde ſteckten uns immerfort etwas von ihren Mund- Portionen zu: allein da wir volle acht Tage in See blieben, ſo litten wir gleichwohl grau- ſamen Hunger und Durſt, und waren darum von Herzen froh, als endlich die Anker im Danziger Fahrwaſſer fielen. Hier deutete der Schiffer ſeiner Mannſchaft in unſrer Gegen- wart (und alſo auch wohl nicht ohne geheime Abſicht) an: „Er gehe in dieſem nemlichen Augenblick an Land und nach Danzig zum Preuſſiſchen Reſidenten, um ihm uns Deſer- teurs anzumelden und uns in ſeine Haͤnde zu uͤberliefern. Bis dahin ſollten ſie uns an Bord feſthalten und mit Leib und Leben fuͤr uns einſtehen.‟ Vergeblich wandten ſie ihm ein: „Die Parthie ſey gar zu ungleich, da Jhrer nur fuͤnf Mann, wir aber zwoͤlf Koͤpfe ſtark waͤren.‟ — „Was kuͤmmert’s mich?‟ war ſeine Antwort — „Und wenn es auch Mord und Todtſchlag giebt, ſo laßt ſie nicht laufen!‟
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0110"n="94"/>
rief er —„ich braͤcht’ euch Alle auf der<lb/>
Stelle nach Colberg zuruͤck, und machte rein<lb/>
Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin<lb/>
ich euch abzuliefern habe.‟— Zugleich ver-<lb/>
bot er ſeinen Leuten auf’s ſtrengſte, ſich um<lb/>
uns nicht zu kuͤmmern und uns weder Eſſen<lb/>
noch Trinken zu reichen.</p><lb/><p>Zwar ward es mit dieſem Befehl nicht<lb/>ſo gar genau genommen, und unſre Freunde<lb/>ſteckten uns immerfort etwas von ihren Mund-<lb/>
Portionen zu: allein da wir volle acht Tage<lb/>
in See blieben, ſo litten wir gleichwohl grau-<lb/>ſamen Hunger und Durſt, und waren darum<lb/>
von Herzen froh, als endlich die Anker im<lb/>
Danziger Fahrwaſſer fielen. Hier deutete der<lb/>
Schiffer ſeiner Mannſchaft in unſrer Gegen-<lb/>
wart (und alſo auch wohl nicht ohne geheime<lb/>
Abſicht) an: „Er gehe in dieſem nemlichen<lb/>
Augenblick an Land und nach Danzig zum<lb/>
Preuſſiſchen Reſidenten, um ihm uns Deſer-<lb/>
teurs anzumelden und uns in ſeine Haͤnde<lb/>
zu uͤberliefern. Bis dahin ſollten ſie uns<lb/>
an Bord feſthalten und mit Leib und Leben<lb/>
fuͤr uns einſtehen.‟ Vergeblich wandten ſie<lb/>
ihm ein: „Die Parthie ſey gar zu ungleich,<lb/>
da Jhrer nur fuͤnf Mann, wir aber zwoͤlf<lb/>
Koͤpfe ſtark waͤren.‟—„Was kuͤmmert’s<lb/>
mich?‟ war ſeine Antwort —„Und wenn<lb/>
es auch Mord und Todtſchlag giebt, ſo laßt<lb/>ſie nicht laufen!‟</p><lb/></div></body></text></TEI>
[94/0110]
rief er — „ich braͤcht’ euch Alle auf der
Stelle nach Colberg zuruͤck, und machte rein
Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin
ich euch abzuliefern habe.‟ — Zugleich ver-
bot er ſeinen Leuten auf’s ſtrengſte, ſich um
uns nicht zu kuͤmmern und uns weder Eſſen
noch Trinken zu reichen.
Zwar ward es mit dieſem Befehl nicht
ſo gar genau genommen, und unſre Freunde
ſteckten uns immerfort etwas von ihren Mund-
Portionen zu: allein da wir volle acht Tage
in See blieben, ſo litten wir gleichwohl grau-
ſamen Hunger und Durſt, und waren darum
von Herzen froh, als endlich die Anker im
Danziger Fahrwaſſer fielen. Hier deutete der
Schiffer ſeiner Mannſchaft in unſrer Gegen-
wart (und alſo auch wohl nicht ohne geheime
Abſicht) an: „Er gehe in dieſem nemlichen
Augenblick an Land und nach Danzig zum
Preuſſiſchen Reſidenten, um ihm uns Deſer-
teurs anzumelden und uns in ſeine Haͤnde
zu uͤberliefern. Bis dahin ſollten ſie uns
an Bord feſthalten und mit Leib und Leben
fuͤr uns einſtehen.‟ Vergeblich wandten ſie
ihm ein: „Die Parthie ſey gar zu ungleich,
da Jhrer nur fuͤnf Mann, wir aber zwoͤlf
Koͤpfe ſtark waͤren.‟ — „Was kuͤmmert’s
mich?‟ war ſeine Antwort — „Und wenn
es auch Mord und Todtſchlag giebt, ſo laßt
ſie nicht laufen!‟
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/110>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.