vermag aber jedes empirische Ziel sich unterzuordnen; denn Er- fahrung erwächst zuletzt auf demselben Grunde; es ist das- selbe Grundgesetz der Bewusstseinseinheit, welches die Objekt- setzung der Erfahrung und die Zielsetzung des Willens regiert. Also werden die materialen Bestimmungsgründe, welche nur Erfahrung bieten kann, sich dem obersten formalen Grundsatz, der Idee, jederzeit willig unterordnen.
Es kann nun auch nicht mehr irre machen, dass der Drang über das Gegebene, Gegenwärtige hinaus zunächst dunkel, seines Zieles völlig unbewusst ist, und, wenn er zuerst zum Bewusstsein erwacht, nur auf Empirisches zu gehen scheint, nur des empirischen Zieles zunächst sich bewusst wird. Auch so erstrebt er doch immer ein Letztes: Einklang, Ueberein- stimmung. Er folgt dem Gesetze der Bewusstseinseinheit, lange bevor er dies Gesetz kennt und seine Tragweite er- misst. Ist die Besinnung aber einmal so weit erwacht, dass man anfängt nach dem Warum zu fragen und nach dem Warum des Warum, so kann auch nicht lange verborgen bleiben, dass sich bei keinem Empirischen als Letztem stehen bleiben lässt. Die Richtung des Bewusstseins bestimme sich zunächst nach einem endlich fernen Punkte, so besteht doch dieselbe Richtung fort ins Unendliche, und sie kann auch so erkannt werden; ja in Wahrheit ist es nicht der endliche sondern der "unendlich ferne" Punkt, der die Richtung ur- sprünglich bestimmt. Das je Gewollte wird ja alsbald nicht mehr gewollt, wenn erkannt ist, dass es in die geforderte Einheit der Absicht sich nicht fügt; diese war also das von Anfang an vorschwebende Ziel, ja sie war das eigent- lich und ursprünglich Beabsichtigte, wenn auch der nächste Drang auf etwas Andres ging, das diese Absicht vereitelt hätte. Alle Tendenz ist Tendenz zur Einheit; ohne das lässt sich überhaupt nichts von Tendenz verstehen, denn Tendenz heisst Richtung, und eine Richtung geht immer auf Eines, und schliesslich ein Unendliches. Nur irrend kann ich ein Empirisches mir zum (vermeintlich) unbedingten Ziel setzen, so wie ich auch in der Theorie Empirisches für absolut zu nehmen zunächst geneigt bin. Dann ist es nur meine ver-
vermag aber jedes empirische Ziel sich unterzuordnen; denn Er- fahrung erwächst zuletzt auf demselben Grunde; es ist das- selbe Grundgesetz der Bewusstseinseinheit, welches die Objekt- setzung der Erfahrung und die Zielsetzung des Willens regiert. Also werden die materialen Bestimmungsgründe, welche nur Erfahrung bieten kann, sich dem obersten formalen Grundsatz, der Idee, jederzeit willig unterordnen.
Es kann nun auch nicht mehr irre machen, dass der Drang über das Gegebene, Gegenwärtige hinaus zunächst dunkel, seines Zieles völlig unbewusst ist, und, wenn er zuerst zum Bewusstsein erwacht, nur auf Empirisches zu gehen scheint, nur des empirischen Zieles zunächst sich bewusst wird. Auch so erstrebt er doch immer ein Letztes: Einklang, Ueberein- stimmung. Er folgt dem Gesetze der Bewusstseinseinheit, lange bevor er dies Gesetz kennt und seine Tragweite er- misst. Ist die Besinnung aber einmal so weit erwacht, dass man anfängt nach dem Warum zu fragen und nach dem Warum des Warum, so kann auch nicht lange verborgen bleiben, dass sich bei keinem Empirischen als Letztem stehen bleiben lässt. Die Richtung des Bewusstseins bestimme sich zunächst nach einem endlich fernen Punkte, so besteht doch dieselbe Richtung fort ins Unendliche, und sie kann auch so erkannt werden; ja in Wahrheit ist es nicht der endliche sondern der „unendlich ferne“ Punkt, der die Richtung ur- sprünglich bestimmt. Das je Gewollte wird ja alsbald nicht mehr gewollt, wenn erkannt ist, dass es in die geforderte Einheit der Absicht sich nicht fügt; diese war also das von Anfang an vorschwebende Ziel, ja sie war das eigent- lich und ursprünglich Beabsichtigte, wenn auch der nächste Drang auf etwas Andres ging, das diese Absicht vereitelt hätte. Alle Tendenz ist Tendenz zur Einheit; ohne das lässt sich überhaupt nichts von Tendenz verstehen, denn Tendenz heisst Richtung, und eine Richtung geht immer auf Eines, und schliesslich ein Unendliches. Nur irrend kann ich ein Empirisches mir zum (vermeintlich) unbedingten Ziel setzen, so wie ich auch in der Theorie Empirisches für absolut zu nehmen zunächst geneigt bin. Dann ist es nur meine ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0061"n="45"/>
vermag aber jedes empirische Ziel sich unterzuordnen; denn Er-<lb/>
fahrung erwächst zuletzt auf demselben Grunde; es ist das-<lb/>
selbe Grundgesetz der Bewusstseinseinheit, welches die Objekt-<lb/>
setzung der Erfahrung und die Zielsetzung des Willens regiert.<lb/>
Also werden die materialen Bestimmungsgründe, welche nur<lb/>
Erfahrung bieten kann, sich dem obersten formalen Grundsatz,<lb/>
der Idee, jederzeit willig unterordnen.</p><lb/><p>Es kann nun auch nicht mehr irre machen, dass der Drang<lb/>
über das Gegebene, Gegenwärtige hinaus zunächst dunkel,<lb/>
seines Zieles völlig unbewusst ist, und, wenn er zuerst zum<lb/>
Bewusstsein erwacht, nur auf Empirisches zu gehen scheint,<lb/>
nur des empirischen Zieles zunächst sich bewusst wird. Auch<lb/>
so erstrebt er doch immer <hirendition="#g">ein</hi> Letztes: Einklang, Ueberein-<lb/>
stimmung. Er folgt dem Gesetze der Bewusstseinseinheit,<lb/>
lange bevor er dies Gesetz kennt und seine Tragweite er-<lb/>
misst. Ist die Besinnung aber einmal so weit erwacht, dass<lb/>
man anfängt nach dem Warum zu fragen und nach dem<lb/>
Warum des Warum, so kann auch nicht lange verborgen<lb/>
bleiben, dass sich bei keinem Empirischen als Letztem stehen<lb/>
bleiben lässt. Die Richtung des Bewusstseins bestimme sich<lb/>
zunächst nach einem endlich fernen Punkte, so besteht doch<lb/>
dieselbe Richtung fort ins Unendliche, und sie kann auch so<lb/>
erkannt werden; ja in Wahrheit ist es nicht der endliche<lb/>
sondern der „unendlich ferne“ Punkt, der die Richtung ur-<lb/>
sprünglich bestimmt. Das je Gewollte wird ja alsbald nicht<lb/>
mehr gewollt, wenn erkannt ist, dass es in die geforderte<lb/>
Einheit der Absicht sich nicht fügt; diese war also das von<lb/>
Anfang an vorschwebende Ziel, ja sie war das eigent-<lb/>
lich und ursprünglich Beabsichtigte, wenn auch der nächste<lb/>
Drang auf etwas Andres ging, das diese Absicht vereitelt<lb/>
hätte. Alle Tendenz ist Tendenz zur Einheit; ohne das lässt<lb/>
sich überhaupt nichts von Tendenz verstehen, denn Tendenz<lb/>
heisst Richtung, und eine Richtung geht immer auf Eines,<lb/>
und schliesslich ein Unendliches. Nur irrend kann ich ein<lb/>
Empirisches mir zum (vermeintlich) unbedingten Ziel setzen,<lb/>
so wie ich auch in der Theorie Empirisches für absolut zu<lb/>
nehmen zunächst geneigt bin. Dann ist es nur meine ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[45/0061]
vermag aber jedes empirische Ziel sich unterzuordnen; denn Er-
fahrung erwächst zuletzt auf demselben Grunde; es ist das-
selbe Grundgesetz der Bewusstseinseinheit, welches die Objekt-
setzung der Erfahrung und die Zielsetzung des Willens regiert.
Also werden die materialen Bestimmungsgründe, welche nur
Erfahrung bieten kann, sich dem obersten formalen Grundsatz,
der Idee, jederzeit willig unterordnen.
Es kann nun auch nicht mehr irre machen, dass der Drang
über das Gegebene, Gegenwärtige hinaus zunächst dunkel,
seines Zieles völlig unbewusst ist, und, wenn er zuerst zum
Bewusstsein erwacht, nur auf Empirisches zu gehen scheint,
nur des empirischen Zieles zunächst sich bewusst wird. Auch
so erstrebt er doch immer ein Letztes: Einklang, Ueberein-
stimmung. Er folgt dem Gesetze der Bewusstseinseinheit,
lange bevor er dies Gesetz kennt und seine Tragweite er-
misst. Ist die Besinnung aber einmal so weit erwacht, dass
man anfängt nach dem Warum zu fragen und nach dem
Warum des Warum, so kann auch nicht lange verborgen
bleiben, dass sich bei keinem Empirischen als Letztem stehen
bleiben lässt. Die Richtung des Bewusstseins bestimme sich
zunächst nach einem endlich fernen Punkte, so besteht doch
dieselbe Richtung fort ins Unendliche, und sie kann auch so
erkannt werden; ja in Wahrheit ist es nicht der endliche
sondern der „unendlich ferne“ Punkt, der die Richtung ur-
sprünglich bestimmt. Das je Gewollte wird ja alsbald nicht
mehr gewollt, wenn erkannt ist, dass es in die geforderte
Einheit der Absicht sich nicht fügt; diese war also das von
Anfang an vorschwebende Ziel, ja sie war das eigent-
lich und ursprünglich Beabsichtigte, wenn auch der nächste
Drang auf etwas Andres ging, das diese Absicht vereitelt
hätte. Alle Tendenz ist Tendenz zur Einheit; ohne das lässt
sich überhaupt nichts von Tendenz verstehen, denn Tendenz
heisst Richtung, und eine Richtung geht immer auf Eines,
und schliesslich ein Unendliches. Nur irrend kann ich ein
Empirisches mir zum (vermeintlich) unbedingten Ziel setzen,
so wie ich auch in der Theorie Empirisches für absolut zu
nehmen zunächst geneigt bin. Dann ist es nur meine ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/61>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.